Mittwoch, 7. Juli 2021
Amen Dunes vs. Sleaford Mods: Kaum vorhersehbar
Jungle: Schluss mit dem Gerede [Update]
Und weil es Sommer und Wochenende zugleich ist, geht schnurstracks (sagt man das noch?) weiter mit dem nächsten Uberhit und wer könnte den passgenauer liefern als das Londoner EDM- und Neosoul-Duo Jungle? Kürzlich hatten diese ja ihr drittes Album "Loving In Stereo" für Mitte August angekündigt, der erste (und durchaus programmatische) Vorabtrack "Keep Moving" ließ schon auf das Beste hoffen und nun kommt mit "Talk About It" schon der nächste Song, der diese Hoffnung noch befeuern sollte. Im Video von J Lloyd und Charlie Di Placido wird aus einem Stuhlkreis im Handumdrehen eine erstklassige Tanzperformance - ein schön anzuschauendes Sinnbild vielleicht auch dafür, dass der Zeit des Redens und Diskutierens endlich die Aktion folgen sollte - raus geht's!
Update: Und noch einmal ein feiner Song plus Video - hier kommt "Romeo" und am 13. August dann der mutmaßlich ebenso gelungene Rest.
Damon Albarn: Mehr Klarheit [Update]
Das Klischee vom Selbsterfahrungstripp liegt griffbereit. Dennoch sollte man vorsichtig damit umgehen, schließlich spricht nichts dagegen, wenn jemand beim Reisen um die Welt auch sich selbst sucht - das tun wir schließlich alle auf die eine oder andere Weise. Damon Albarn war noch selten jemand, der sich in die Öffentlichkeit drängt, selbst als Frontmann von Blur wirkte er neben den dicken Hosen der Gebrüder Gallagher oder einer Quatschkanone wie Robbie Williams eher schüchtern und irritiert. Dass der Mann aus dem Londoner Osten mehr drauf hat als Radiohits zu schreiben, das hat die Welt nach dem Ende seiner Band schnell erfahren - die Gorillaz waren einigermaßen visionär, seine Kollaborationen und Filmscores von ausgesuchter Güte und auch mit seiner Arbeit bei The Good, The Bad And The Queen vermochte er durchaus zu punkten. Seine Soloplatten, zuletzt "Everyday Robots" (2014), waren Weltmusik im besten Sinne und genau so scheint es nun weiterzugehen. Albarn ist, wie er dem NME gesagt hat, viel rumgekommen in letzter Zeit, Uruguay, Island, Iran, und diese Erfahrungen hat er wohl in sein nächstes Album (via Transgressive) einfließen lassen. Dessen Titel "The Nearer The Fountain, More Pure The Stream Flows" klingt zwar etwas arg nach esoterischem Sinnspruch, doch der Mann ist zu klug, um es sich und uns so einfach zu machen. Wir warten also besser mal ab, spätestens am 12. November sehen wir klarer.
Update: Für alle, die auf den Geschmack gekommen sind, kommt hier mit "Polaris" die zweite Single vom lang erwarteten nächsten Solo.
Dienstag, 6. Juli 2021
Regressive Left: Großer Spaß zur rechten Zeit
Mira Mann: Lob der Ambivalenz
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Foto: Tanja Kernweiss |
Da aber die Auseinandersetzung, das Gegensätzliche der Humus schlechthin für relevante Kunst sind, erschließt sich einem die Wahl auf den zweiten Blick natürlich schnell. Ihr Statement tut dazu ein Übriges: "Es gibt viele Aspekte, die an dem Song spannend sind. Klar, die Art und Weise, wie er sein Baby anspricht, ist verhandlungsbedürftig, so wie er Grenzen beschreibt, ist kalt, aggressiv, aber auch suchend, wehmütig, sensibel. Den Aspekt von Arbeit, Unterordnung im System der Lohnarbeit und Schuld finde ich gerade jetzt extrem spannend - und das alles mit Blick auf diesen utopischen Traumort Atlantic City". Natürlich unterscheiden sich auch die Herangehensweisen an den Song fundamental - hier Mann's kühler Sprechgesang, unterstützt von fast schon dröhnender, elektronischer Textur, dort Springsteens gewohnt leidenschaftlicher, balladesker Akustikrock. Dass Mann gerade ein Stück von "Nebraska", einem von Springsteens ungewöhnlichsten Alben aus den frühen Achtzigern, zur Neubearbeitung wählte, macht die Sache zusätzlich erfreulich, man muss schließlich kein großer Freund seines Hauptwerks sein, um gerade diese sehr puristische Platte unbedingt zu feiern. Das ebenso sparsame Video zum Track hat übrigens Autorin und Filmemacherin Jovana Reisinger gedreht, die mit den Arbeiten "Beauty Is Life", "Die klaffende Wunde" und "Men In Trouble" und ihrem aktuellen Buch "Spitzenreiterinnen" (Verbrecher Verlag) länger schon über München hinaus bekannt geworden ist.
08.07. München, Import Export
18.07. München, Monacensia/Hildebrandhaus
07.08. Jena, Glashaus am Paradies
20.08. Köln, Galerie Gemeinde Köln (Lesung)
21.08. München, Cucurucu
28.08. Berlin, Pop-Kultur Festival
10./11.09. Wien, Waves Vienna
Montag, 5. Juli 2021
Eugenia Post Meridiem: Flüchtige Schönheit
Varley: Wahre Freundschaft [Update]
Wenn wir gerade von gefühlvollem Pop mit melancholischer Note reden, dann sind diese drei hier sicher zur richtigen Zeit am richtigen Ort: Das Trio Varley aus Berlin nämlich wird im September sein Debütalbum "Smalltalk And DMCs" bei FerryHouse Records veröffentlichen und hat für den Erfolg desselben mit den Singles "Bubble Up" und "Push Pull" schon gute Vorarbeit geleistet. Heute nun kommt der nächste Vorabsong, das wundervoll sanfte "A Little Bit Funny", an die Reihe, ein Lied über den Wert wahrer Freundschaften und die Schwierigkeit, diese heute zu bewahren. "Wir haben „A Little Bit Funny“ nach einem langen Gespräch über unsere Kindheit und Freunde, die wir über die Jahre aus den Augen verlorenen haben, geschrieben", erzählt die Band, "Wir fanden es spannend, dass wir alle ähnliche Erfahrungen gemacht haben und wie wir als Gesellschaft dazu tendieren, weniger das Telefon in die Hand zu nehmen und unsere alten Freunde lieber via Social Media im Auge behalten. Es ist ein bittersüßer Rückblick auf all die guten Jahre und Erinnerungen."
Update: Im Video zur neuen Single "The Pressure" von Jen Krause sehen wir Schauspieler Gerhard Bös als leidlich zufriedenen Schrottplatz-Sandler, die Band versucht in dem Song das Ambivalente des Alltagsdrucks zu verarbeiten.
Freitag, 2. Juli 2021
Westbam: Der Spaziergänger vom Prenzelberg
Westbam/ML
„Famous Last Songs Vol. I“
(WG Records/Embassy One)
Nun ist er nicht der Einzige, der sich für die eingeschränkte Bewegung während der Pandemie bzw. für die fehlende Motivation zu selbiger eine eigene Strategie überlegte, mehr noch, seine war und ist eine der meistgenutzten: Maximilian Lenz, besser bekannt unter seinem Pseudonym Westbam, hat sich vor einigen Monaten zum ausgiebigen Spaziergang durch seine Heimatstadt Berlin entschlossen. Tagtäglich. Natürlich standesgemäß mit Kopfhörer auf dem Schädel, irgendwie ist man ja doch im Dienst und will was hören beim Laufen: „Seitdem fahre ich täglich mit öffentlichen Verkehrsmitteln an irgendeinen Berliner S-Bahn-Endbahnhof und gehe zu Fuß zurück nach Mitte. Reinickendorf, Steglitz, Grunewald, Marzahn, Lichtenberg – ich lege täglich zehn bis fünfzehn Kilometer zurück. Mittlerweile muss ich schon in die Seitenstraßen ausweichen, damit ich mal irgendwo hinkomme, wo ich noch nicht war.“ Aus dem DJ ist also ein Flaneur geworden und das nicht nur, weil Auflegen recht schwierig ist, wenn die Clubs vernagelt sind. „Spazierengehen und Tanzen sind einander verwandte Vorgänge“, sagt er in den Notizen zu seinem neuen Album und sogleich fällt einem das seltsam tastende Schreiten im Nebel, die Versunkenheit der Gothjünger*innen damals in den 80ern ein.
Womit der Kreis fast schon geschlossen wäre, denn Lenz hat sich erneut – ähnlich wie bei seinem 2013 erschienenen Werk „Götterstrasse“ – mit den 80ern die höchstverehrte Epoche seiner Jugendzeit vorgenommen und daraus mit Hilfe vieler Gäste gepflegte Tanzmusik für’s Heute eingespielt. Man darf annehmen, dass auch hier wieder manch sehnsüchtiger Traum erfüllt wurde, nach Iggy Pop, Bernard Sumner und Richard Butler steuerten nun John Marsh von The Beloved, der ewigjunge Marian Gold (Ex-Alphaville) und Dieter Meier von Yello ihren Gesang bei – dass Lenz nicht nur Musiker und Produzent, sondern immer auch Fan geblieben ist, darf man ruhig unterstellen, es macht ihn ja durchaus sympathisch. Ebenfalls wieder mit an Bord Langzeitfreundin Inga Humpe, sie gibt dem „Wasteland“ und also der verlassenen Großstadt eine angemessen reife, auch schon mal brüchige Stimme und unterstreicht so die Meinung des Künstlers, Perfektion spiele für ihn eine eher untergeordnete Rolle: „Wir sehen mit der Zeit vielleicht nicht alle immer geiler aus, aber die meisten von uns werden immer besser in dem, was sie tun.“
Das gilt dann selbstredend auch für ihn. Partymucke für den Freakout um Mitternacht ist auf der Platte kaum zu finden, Westbam macht eher den Sound für die Zeit nach dem großen Rausch, für die Stunden der Ermattung, des allmählichen Verlierens, der Trance. Dunkles Pochen und Wummern sein Markenzeichen, Standarddistanz fünf Minuten plus, pulsierender, geschmeidiger Zwischenlichtsound. Hier ein bisschen französische Leichtigkeit, Ben Becker darf für die DAF-Hommage standesgemäß den durchgeknallten, blutrünstigen Quertreiber daherraunen und an Henning Wehland von den eigentlich doch recht durchgerockten H-Blockx aus Lenz‘ Heimatstadt Münster ist scheint’s doch ein Darkwaver verloren gegangen. Dass Westbam extar für ihn die maximal zitierte Stooges-/Bauhaus-Bassline aus dem Keller holt, ist zwar nicht sonderlich originell, aber konsequent. Am Ende brennt die Siegessäule, kein Fanal, eher ein Lagerfeuer und kurz darauf hebt Dieter Meier an zum wohl schönsten Track des Albums „No Melody“. Das alles ist Musik, die einen nicht umhaut, in den besten Momenten aber gleichwohl zu verzaubern vermag – ein paar Erinnerungen, ein paar Bilder, von früher für jetzt. Und wer weiß, vielleicht gibt es ja doch noch mal eine blue hour, irgendwo in einem schummrigen Kellerclub dieses Landes, wo der Kopf spazierengeht und die Füße tanzen dürfen.
Donnerstag, 1. Juli 2021
Tyler, The Creator: Gut unterhalten
Tyler, The Creator
„Call Me, If You Get lost“
(Columbia/Sony)
Beim Thema Unterhaltung bekommen hierzulande fast alle Entscheidungsträger weiche Knie und werden zu Angsthasen, Bedenkenträgern und/oder bemitleidenswerten Figuren – egal ob Musik, Comedy, Late-Night, Film resp. Serie, stets wirkt es irgendwie angestrengt, übermotiviert, langweilig oder peinlich, richtig gut gelingt es selten. Dass solche Dinge bei uns entweder in einem Fettnäpfchen-Marathon, einer albernen Lachnummer oder dröger Langeweile enden, hat natürlich zu gleichen Teilen mit schlechtem Personal und historisch bedingter Überverkrampftheit zu tun, es allen recht zu machen ist ein urdeutsches Anliegen und geht in der Regel mächtig schief. Das Problem kennen die Amerikaner nicht, Entertainment gibt’s bei ihnen nur in Großbuchstaben und selbst wenn sie’s mal an die Wand fahren, haben sie eine Riesenspaß dabei. Richtig gut wird es dann, wenn sich die um den Job kümmern, die eigentlich sonst nicht viel zu lachen haben. Dave Chapelle ist das wohl prominenteste Beispiel, sein Aufritt anlässlich des gewaltsamen Todes von George Floyd („8:46“) zeigt auf beeindruckende Weise, dass selbst bei solche schrecklichen Anlässen Humor und Haltung auf wunderbare Art zusammenpassen können.
Durchaus talentiert zeigt sich, wenn auch auf andere Weise, seit längerem Tyler Gregory Okonma alias Tyler, The Creator – unterwegs mit vielen Identitäten und seit seinem fulminanten Debüt „Goblin“ aus dem Jahr 2011 bekannt für seine Vorliebe für ebenso viele stilistische wie auch textliche Querschläger. Neuestes Beispiel ist sein Auftritt als Sir Baudelaire in Anlehnung an den französischen Schriftsteller und Dandy Charles mit den bösen Blumen. Die sehr unterhaltsame Kunstfigur wird im Videomaterial zum neuen Album ausgiebig überzeichnet, Tyler spielt ihn ordentlich versnobbt, exaltiert, sophisticated und, auch das nicht unwichtig, maximal elegant. Die Platte zum aktuellen Alter Ego kommt als prall gefüllte Wundertüte, die gern auch als Stoffsammlung für das Fach Neuere Geschichte der schwarzen Musik herhalten kann, ganz so, wie es den Zuhörer*innen je nach Stimmungslage und Kenntnisstand beliebt.
Man muss beileibe nicht das gesamte Köchelverzeichnis von Soul, RnB, Pop, Jazz und Reggae parat haben, um die Vielfalt dieses Mixtapes ausgiebig würdigen zu können – es groovt, dröhnt, scratcht, hämmert und swingt ganz wunderbar über die gut fünfzig Minuten. Den staubig-quietschenden Oldschool-Zeiten des Hip-Hop eines Wu-Tang Clan wird hier ebenso gehuldigt wie dem überproduzierten Bombast des Hl. Yeezus der Neuzeit, von „two turntables and a mic“ bis zum dramatischen Fanfarenchor, von punktgenauer Knappheit bis zu satter Überlänge ist alles dabei. Zusammen mit Tyler reimen im Übrigen noch jede Menge Gastdozenten, wir hören u.a. Lil Wayne, Ty Dolla $ign, Fana Hues, Lil Uzi Vert und den unvermeidlichen Pharrell Williams (beide im feinen „JUGGERNAUT“), produziert hat unter anderem auch Jamie XX. Und ausgeteilt wird auch kräftig, es gibt ein „MANIFESTO“ mit seiner Art seitenhiebbewährter Vergangenheitsbewältigung, bei „MASSA“ gehts (natürlich ganz wichtig) um Credibility und Herkunft. Das wiederum kontrastiert auf’s Herrlichste mit dem schwülstig-kitschigen Kram wie „WUSYANAME“. Wer sich davon nicht unterhalten, ja mitreißen lässt, ist ein ganz armer Tropf.
Dienstag, 29. Juni 2021
Desperate Journalist: Beziehungsweise [Update]
Die nächste Band ist ähnlich lange aktiv wie die Australier, kommt allerdings aus London: Desperate Journalist, Quartett bestehend aus Sängerin Jo Bevan, Bassist Simon Downer, Rob Hardy an der Gitarre und Drummerin Caroline Helbert, hat ebenfalls für Anfang Juli ein weiteres Album angekündigt. "Maximun Sorrow!" wird bei Fierce Panda verlegt und der Song "Personality Girlfriend" ist bereits die zweite Vorauskopplung - vor einiger Zeit schon war die Single "Fault" erschienen. Der Sound der Briten ist deutlich härter und näher dran am Rock, die vier können und wollen in Sachen Klang und Optik ihren Bezug zum Goth nicht verleugnen.
Update: In ein paar Tagen soll es nun also kommen, das neue Album und zum Aufwärmen schicken uns Jo Bevan und Band heute das Video zum Song "Everything You Wanted" vorab zu.
Montag, 28. Juni 2021
Sault: Unverzichtbar
Sault
"Nine"
(Forever Living Originals)
Sault also, schon wieder? Hatten die nicht schon im vergangenen Jahr mit "Untitled (Black)" und "Untitled (Rise)" zwei fulminante Alben am Start? Nun, weil das Londoner Kunst-Kollektiv zuallererst schwarz und politisch ist, erscheint die Antwort auf die Frage recht einfach: Solange es Probleme gibt, die mit ihrer Herkunft, mit ihrer Geschichte und ihrer Hautfarbe in Verbindung stehen, solange werden auch Sault da sein und Musik darüber und dazu machen. Und man kann nicht behaupten, dass es im Königreich derzeit an Problemen mangelt - Rassismus, Nationalismus und Fremdenhass sind dabei nur einige von vielen, die dieses Land momentan mächtig aufwühlen. Auch deshalb also "Nine". Aber nur vergleichsweise kurz. Denn diese neue Platte, die fünfte nach "5", "7" und den beiden oben genannten, soll nur für ganze 99 Tage zum Verkauf stehen, danach werden zumindest die offiziellen Tonträger inklusive Stream wieder aus dem Schaufenster genommen, wohl allen, die sich vorher damit versorgt haben.
Dass es kein Fehler ist, sich auch die neuen Songs zu sichern, wird schnell klar. Denn wie schon zuvor, so sind auch diese zehn Tracks eine fabelhafte Mischung aus vielem, was schwarze Musik heute zu bieten hat. Als da wären Jazz, Hip-Hop, RnB, Soul, Dub und diverse Spielarten zeitgemäßen Dancepops. Aber wie gesagt - alles politisch. Sault sind ohne Anspruch und Haltung nicht zu bekommen und genau deshalb momentan unverzichtbar. Los geht's mit straffen Breakbeats über die "London Gangs", gefolgt von einer Art perkussivem Straßenkampflied "Trap Life", wo es heißt: "We trap on these blocks and we don't trust these cops, tell me who's taking shots, shots, shots - I wanna be free, free my mam' and my mind, 'cause we're locked up inside ..." Der krasseste Track auf dem Album ist wohl "Fear", es geht um die Wut der Ausgegrenzten, Benachteiligten, darum, dass man als People Of Colour quasi zur Beweislast gezwungen wird, das Unrecht immer und immer wieder aufzuzeigen, obwohl es doch jeder und jedem längst bewusst sein sollte.
"Pain is real, can't fake this" formiert sich zum dröhnenden Mantra, unterlegt mit maximal fettem Bass. Solche zornigen Zeilen wechseln in der Folge mit gefühlvollen Tönen ("Bitter Streets"), aufgekratzem Sarkasmus ("You From London", gereimt von Little Sinz) und trauriger Klage ("Alcohol"). Es gibt gesprochene Einspieler aus dem Alltag und ganz zum Schluß ein leidenschaftliches Plädpyer für die Liebe, einmal mehr gesungen von der wunderbaren Cleo Sol, die zum festen Ensemble der Formation gehört: "Without love, it's hard for you to give it a try, so many promises that turn into lies, don't wanna start again and give someone a chance, can't you see the light's in your hands" - schöner und emotionaler hätte das auch Whitntey Houston kaum bringen können. Kein Selbstmitleid, sondern Trost- und Mutmacher, Sault zeigen einmal mehr (und nicht nur musikalisch) das richtige Gespür für das, was diese Zeiten erfordern. Grund genug, die 99 Tage nicht unnötig vertsreichen zu lassen.
Sonntag, 27. Juni 2021
Book Klub: Reichlich düster
Tirzah: Unter die Oberfläche
Royal Canoe: Alle gemeinsam
Freitag, 25. Juni 2021
DESI: Loslassen und ankommen
Trümmer: Selber machen
22.11.2021 Köln, Baumann und Sohn
23.11.2021 München, Milla
24.11.2021 Nürnberg, Club Stereo
25.11.2021 Berlin, Berghain Kantine
26.11.2021 Leipzig, Ilses Erika
27.11.2021 Hamburg, Molotow Club
Kings Of Convenience: Erleuchtung garantiert
Kings Of Convenience
"Peace Or Love"
(EMI)
Der Münchner Karl Valentin hat seiner Nachwelt ja eine ganze Reihe zeitloser und ungemein kluger Gedanken hinterlassen, einer davon lautet: "Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von allen". Nun bedenkt der humorige Mann hier eher diejenigen mit Spott, die zu alles und jedem eine Meinung haben und diese, sei sie noch so nebulös, auch überall lauthals kundtun müssen. Betrachtet man den Einzeiler aber eher wohlwollend und wortwörtlich, dann kann man sich bestimmte Dinge, obwohl schon breitgetreten oder totgespielt, eben dennoch anhören, wenn bestimmte Menschen sich ihrer annehmen. Nun ist es so, dass an Liedern über die Liebe, über gebrochene Herzen und zerbrochene Freundschaften keinerlei Mangel besteht. Und wir würden schnellstens abwinken, wenn sich nicht Erlend Øye neuerlich um sie kümmerte. Der norwegische Songschreiber hat mit seiner Band Kings Of Convenience und deren Debütalbum nicht nur den Slogan für ein Revival der leisen, zwarten Folkmusik erfunden ("Quiet Is The New Loud", 2001), seine Songs zählen generell zu der Art von Musik, die unbedingt sowohl für einsame Inseln als auch ausweglose Gemütsverfassungen, ja Taufen und Beerdingungen gleichermaßen taugen.
Und der macht nun, zwölf Jahre nach der letzten Studioplatte, eine neue und wir sind angehalten, keine unserer Behauptungen wegen ihr zurückzunehmen. Ja im Gegenteil, wenn Øye mit kongenialer Gastsängerin Leslie Feist über die Liebe sinniert, dann ist das, obschon altbekannt, als hätte man trotzdem gerade eine neue Bewußtseinsebene erlangt. Wollen wir's einfach mal gemeinsam versuchen?
If you want someone to enter in your life
Show a part of your world they can dream about
It will seem a fair idea
If you make it their idea
Go back to your corner
Let them come to you
Patience is the hardest thing to have to learn
Hours seem like oceans when desire burns
Rushing in will ruin all, you must bide your time
Sow a seed in water, wait for love to grow
Love, to you, is given, love is gifted you
No love can be taken, that love is not true
Love is pain and suffering, love can be a lonely thing
Once you've known that magic, who can live without it?
Wer hier nicht zur Erleuchtung kommt, dem ist tatsächlich nicht mehr zu helfen. Viel mehr Worte muss man über das neue Album gar nicht mehr verlieren. Es ist natürlich fabelhaft geworden, man sollte es immer und überall dabeihaben und wie erwartet sind die elf Lieder essentielle Lehrbeispiele, wie schwer einerseits doch das Leichte zu bekommen ist - und wie befriedigend es sein kann, hat man es einmal (mehr) geschafft. Øye ist der schüchterne Großmeister in diesem Fach, er hinterlässt uns mit den Songs eine neue Sammlung wirkungsvollster Allheilmittel. Auch weil Nick Drake das ja nun nicht mehr kann. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir mit dem Schachspielen beginnen ...
17.03. Zürich, Theater 11
07.06. Berlin, Admiralspalast
08.06. Berlin, Admiralspalast
11.06. Leipzig, Parkbühne
14.06. Hamburg, Laeiszhalle
15.06. Köln, Tanzbrunnen
Mittwoch, 23. Juni 2021
Ceiling Demons: Deutungssache
Margot: Das traurige Dasein der Feierbiester [Update]
Tieren geht es mit dem umständehalber verordneten Lockdown in Großstädten gar nicht so schlecht. Angefangen bei den Hunden, die als Alibi für ausgedehnte Spaziergänge während bzw. trotz der Ausgangssperre gern herhalten werden, Katzen wiederum finden reichlich Kraul-Personal in den Homeoffice-Stuben dieser Welt, noch dazu ist der gleichnamige Instagram-Content auf Dauer eines der meistbetriebenen Freizeitvergnügen gelangweilter Zweibeiner. Vögel profitieren futtermäßig vom Heimwerkerwahn der eingeschlossenen Terrassen- und Balkonbewohner und selbst die Ratten können sich über schlechtgefüllte Biotonnen derzeit nicht wirklich beklagen. Läuft also für die Fauna? Nun, eine bestimmte Spezies, so ehrlich muss man sein, führt derzeit ein eher trauriges, vernachlässigtes Dasein - das Party-Animal, auch Feierbiest genannt, kommt nicht wirklich zur Entfaltung. Das Bier wird schal, der Wein sauer, kein Klub, kein Konzert weit und breit und so dämmert es, vom heimischen Bildschirm sediert, durch den Tag, kaum Aussicht auf Besserung. Die Londoner Band Margot hat gerade ein Video zu ihrem neuen Song "Falling In Between Days" veröffentlicht, der Flipside zur Single "Walk With Me". Als Regisseurin konnte die Künstlerin Annie Van Noortwijk gewonnen werden, bekannt für ihre eigenwillig visualisierten Parallelwelten. Und diese gab dann auch prompt und thematisch passend zu Protokoll: "I am not really a party animal but I do love to dance. If anybody would have asked me if I would have missed dancing, chance encounters, unpredictable nights this much I would have laughed, but right now I can’t wait to get out and bounce around."
Update: Zugegeben, in ihren Anfangstagen klangen Margot etwas lebenslustiger, aber das mag auch an den äußeren Umständen liegen, die uns ja alle gleichermaßen betreffen - nur die Folgen sind für jede/n andere. Die neue Single "Fame" jedenfalls erzählt von falschen Vorbildern und schlechten Einflüssen. Und klingt trotzdem gut.