Mittwoch, 8. Februar 2017

Sleater-Kinney: Geht nicht ohne

Sleater-Kinney
„Live In Paris“

(Sub Pop)

In nächster Zeit, so ist zu lesen, planen die Organisatorinnen des weltweiten Women‘s March eine Art eintägigen Generalstreik für Frauen – am #DayWithoutWomen soll wohl, so darf man den bisherigen Posts entnehmen, allen unverbesserlichen Sexisten, Machos und Paschas gezeigt werden, wie es sich denn anfühlt, so ein Leben ganz ohne Weiblichkeit. Und auch wenn es für eine derartige Protestaktion kaum noch rationaler und emotionaler Argumente bedarf, so lange mit Donald Trump der aggressivste Wortführer der Gegenseite einen Chaostag an den anderen reiht, es fallen einem (neben vielen anderen) beim Anhören der vorliegenden Platte gleich noch drei Frauen mehr ein, ohne die es zukünftig ebenfalls ziemlich trübe aussehen würde. Die Entscheidung, nach der zwischenzeitlichen Auflösung und dem überaus wuchtigen Abschiedgruß „The Woods“ zehn Jahre später noch einmal ins Studio und auf die Bühne zu gehen, haben Carrie Brownstein, Corin Tucker und Janet Weiss mutmaßlich bis heute nicht bereut, die Zuneigung, ja Verehrung, die ihnen auf Konzerten entgegenschlug und -schlägt, entschädigt sicher für manche Entbehrung und Mühe. Daß sich die drei in ihrer acht Alben umfassenden Bandgeschichte bislang noch nicht zu einer Liveplatte hatten durchringen können, darf angesichts des nun geglückten Mitschnitts aus dem Pariser La Cigale im März 2015 weiter als Rätsel gelten.

Als ausgesprochene Liveband misstrauten sie möglicherweise den Mitteln, den Zauber der Interaktion zwischen Musikern und Publikum, diese spezielle, im besten Falle spannungsgeladene Atmosphäre in die Rillen pressen zu können. Nun, diese Befürchtungen können mit „Live In Paris“ zerstreut werden, das Set gelingt den Damen mehr als respektabel. Und selbst die älteren Sachen, auf die man bei einer Band, die schon mehr als zwanzig Jahre auf dem Buckel hat, besonders genau hört, haben kaum etwas an Energie und Wut verloren. Glücklicherweise beschränken sich Sleater-Kinney für den Vortrag ja nicht nur auf die beiden letzten Werke, sondern streuen ebenso Stücke der älteren ein – „Dig Me Out“, „Start Together“ oder „Turn It On“ sind ja noch Kinder der 90er und als solche fast schon aus einer anderen Zeit, hier fügen sie sich umstandslos ins Bild. Es ist so erstaunlich wie erschreckend, wie gut die Songs noch in die Zeit passen, auch wenn sie aus einer anderen passen: „Reality is the new fiction they say, truth is truer these days, truth is man-made. If you're here cause you want to be entertained, go away, please go away”, heißt es etwa im wunderbar bissigen “Entertain”, geschrieben in der Zeit der Bush-Ära, auf Obama hatte da kaum einer zu hoffen gewagt und ebenso stand ein Präsident Trump außerhalb jeder Vorstellungskraft. Man sieht – die Zeiten ändern sich, die Probleme bleiben. Und Sleater-Kinney? Brauchen wir mehr denn je. http://www.sleater-kinney.com/

Nick Cave: Früher als gedacht

Nun also doch: Nick Cave wird früher als gedacht wieder in den Ring steigen und eine ausführliche Europatour spielen. Nach Veröffentlichung seines Albums "Skeleton Tree" im vergangenen Jahr stehen für den Herbst eine Reihe von Terminen an, der Vorverkauf soll am Freitag kommender Woche starten.

07.09.  Frankfurt, Jahrhunderthalle
09.09.  Hamburg, Sporthalle
12.09.  Düsseldorf, Mitsubishi Electric Halle
22.09.  Berlin, Max-Schmeling Halle
01.11.  Wien, Stadthalle
02.11.  München, Zenith
12.11.  Zürich, Hallenstadion
13.11.  Genf, Arena

Dienstag, 7. Februar 2017

Fazerdaze: Sundowner

Das Highlight kommt am Ende des Tages, zum Charakter des Stückes jedenfalls paßt es: Fazerdaze ist ein Projekt der Neuseeländerin Amelia Murray - schon für ihre selbstbetitelte Debüt-EP hat die junge Dame viel Beifall bekommen und dazu einige Plätze im Vorprogramm von Matt Corby, Connan Mockasin und dem Unknown Mortal Orchestra. Die Klänge erinnern natürlich sehr an den sogenannten Dunedin-Sound, mit dem in den Achtzigern schon The Chills, The Verlaines und die Sneaky Feelings am anderen Ende der Welt für Furore sorgten. Nun also bald der erste Longplayer der charmanten Dame - "Morningside" wird am 5. Mai bei Groenland Records erscheinen und die Vorauskopplung "Little Uneasy" hat schon mal ein reichlich entspanntes Video von Garth Badger bekommen.

St. Tropez: Abgeschaut

Im letzten Jahr das Debütalbum, trotzdem sind sie noch oder schon wieder hungrig: St. Tropez aus Amsterdam werden am 23. Februar ihre neue EP "Debate" veröffentlichen, daraus dürfen wir heute mit "Democrazy" die erste Auskopplung präsentieren und wenn nicht alles täuscht, dann haben die Herren für dieses äußerst nervöse Stück ein wenig bei den Beastie Boys gespickt. Gibt trotzdem eine gute Note - das Video stammt von Sanja Marusic.

Montag, 6. Februar 2017

Wild Beasts: Mega Meta

Der Song ansich ist ja schon stark, nun setzt das Video noch einen drauf: "Alpha Female" stammt vom Album "Boy King" der Wild Beasts, das sie im vergangenen Jahr veröffentlicht haben, nun gibt es dazu einen Clip der Regisseurin Sasha Rainbow (FFS, Findlay). Und der ist natürlich mit jeder Menge Bedeutung aufgeladen, denn nicht ohne Grund wird hier eine Gruppe indischer Skaterinnen namens Girl Skate India in Szene gesetzt, stellvertretend für alle Länder, in denen Ausgrenzung und sexuelle Gewalt noch immer an der Tagesordnung sind. Female first also.

Familienalbum # 23: Hajk

Zugegeben: Wer von uns wollte nicht schon immer Genaueres über die Rolle der Jalousie in der jüngeren Musikgeschichte wissen? Spätestens seit letztem Jahr, als das großartige Album "Jalousie" der Münsteraner Band Messer erschien, drängte sich der Wunsch auf, mehr über die Rolle der praktischen Zugblende in Erfahrung zu bringen, auch um deren Position im stetigen Kampf mit Schnapp-Rollos, Fensterläden und vor allem Gardinen zu stärken. Und gerade da kam die neue Single "Best Friend" (und die frühere "Magazine") der norwegischen Formation Hajk um die Ecke, die uns einmal mehr vor Augen führt, daß guter Pop und Sonnenschutz seit jeher Hand in Hand gehen. Gilt übrigens für Rock, wie man sieht, gleichermaßen. Alle Beispiele wie immer von links nach recht und oben nach unten.

Hajk "Best Friend" - Messer "Jalousie" - Oddisee "The Beauty In All" - Mick und Micky "Eine rote Jalousie" - Chris Isaak "Beyond The Sun" - Varsity Weirdos ""Close The Blinds" - The Doors "Morrison Hotel" - Bruce Springsteen "Darkness On The Edge Of Town" - Siouxie And The Banshees "Kaleidoscope" - Ghost Culture "Ghost Culture"

Samstag, 4. Februar 2017

MUNA: Wichtige Fragen

MUNA
„About U“

(RCA)

Es ist verflixt. Und es ist anmaßend: Fast ebenso schnell wie die Freude, die drei Mädels aus Los Angeles für sich entdeckt zu haben, kommt die Angst, sie mit jemandem teilen zu müssen. Und „jemand“ meint hier natürlich den alles verschlingenden Molloch Mainstream, dessen ruhelose Agenten an jeder Häuserecke lauern, Ausschau haltend nach möglichen Superstars, die dann der gierigen Bestie Formatradio zum Fraß vorgeworfen werden, bis sie dort zu Tode rotiert sind und nichts weiter von ihnen übrig bleibt als eine schwache Erinnerung. Das zumindest ist die Vorstellung und natürlich scheint sie so ungerecht wie egoistisch. Katie Gavin, Josette Maskin und Naomi McPherson sehen nun wirklich nicht so aus, als müssten man Angst um sie haben, trotzige Blicke, schwarzes Leder, Renee Cut, sie werden sich, so hofft man, zu wehren wissen, sollte so ein übereifriger Vereinnahmer ihre Wege kreuzen und mit falschen Versprechungen das Blaue vom Himmel herunterlügen. Gründe genug, MUNA eine rosige Zukunft auszumalen, gäbe es allerdings genug – das Debütalbum präsentiert genaugenommen sogar ganze zwölf.



Und jeder davon ein Treffer: Wunderbar stimmiger, verteufelt eingängiger Synthpop, dunkel genug, um nicht in der falschen Schublade zu landen, dazu Gavins weiche Stimme, die so anschmiegsam klingt und somit maximal mit ihrem herausfordernden Äußeren kontrastiert. Vier der Stücke fanden sich ja schon auf der EP „Loudspeaker“, die im vergangenen Jahr für berechtigtes Aufsehen sorgte, nun werden diese ergänzt durch Ohrwürmer wie „I Know A Place“ oder das elektrisierende „Crying On The Bathroom Floor“. Randnotiz oder nicht – der Frage, ob es wichtig ist zu wissen, daß MUNA Queerpop machen, begegnen die drei in Interviews recht offensiv. Sexuelle Orientierung erscheint ihnen im Hinblick auf die grundsätzliche Einstellung zu Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe zweitrangig, hat aber, soviel ist klar, durch die politische Entwicklung in den USA an Aufmerksamkeit gewonnen. „Everyone’s fallen in love, everyone’s gotten their heart broken. We just have to find those common things that connect us because the world is becoming so much more divided. Hate is only going to further that divide”, so Maskin gegenüber DIY – ihre Lieder könnten kaum besser dafür geeignet sein. http://www.whereismuna.com/who-is-muna.html

Cymbals Eat Guitars: Erinnerungshilfe

Traurig aber wahr: Da kommt die Band mit einem wirklich guten Album daher und zudem noch mit dem wohl witzigsten Covermotiv des Jahres 2016 - und findet hier kaum Erwähnung. Der Psychedelic Rock der New Yorker Band Cymbals Eat Guitars hat über die Jahre bis hin zur vierten Platte "Pretty Years" tatsächlich kaum an Reiz verloren und man kann die besagte Nachlässigkeit nur mit dem musikalischen Überangebot begründen, mit dem sich der Rezensent tagtäglich herumschlagen muß. Doch auch die Künstler selbst wollen sich natürlich in Erinnerung bringen und das gelingt am besten, wenn man sich zum Hörer selbst aufmacht. Gesagt, getan, ab der nächsten Woche sind die vier in Europa unterwegs und zur Einstimmung auf die hiesigen Termine hier noch eine gerade veröffentlichte Demo-Version des Titels "Finally" aus dem aktuellen Werk. Und jetzt hin mit euch!

12.02.  Köln, Studio 672
13.02.  Berlin, Badehaus Szimpla
18.02.  Hamburg, Nochtspeicher
22.02.  Zürich, Rote Fabrik
27.02.  Wien, Arena

Freitag, 3. Februar 2017

Elbow: Herzensangelegenheiten

Elbow
„Little Fictions“

(Polydor)

Als Guy Garvey vor knapp zwei Jahren seiner Soloplatte „Courting The Squall“ veröffentlichte, da haderte er, man durfte es hören und lesen, noch sehr mit seinen Dämonen, gab sich verletzlich, unstet und schien auf der Suche. Das, so darf man mit der Ankunft des siebten Albums seiner Band Elbow vermuten, hat sich nun ins erfreuliche Gegenteil verkehrt – aus dem wilden Sturm ist ein erfrischendes Lüftchen geworden, kurz: Den Mann hat es erwischt. Und zwar ziemlich arg. Im vergangenen Jahr hat Garvey ja bekanntlich Schauspielerin Rachael Stirling zum Traualtar geführt, diese Beziehung hat offenkundig sämtliche Unentschiedenheit und Zweifel aus seinem Leben vertrieben und so läßt er seine Zuhörer am neuen Glück ausgiebig teilhaben. Gleich die ersten drei Stücke auf „Little Fictions“, wie auch der überwiegende Rest allesamt orchestraler Großformatpop, kommen mit reichlich Sentiment daher: In „Magnificent (She Says)“ bringt ihn die Geburt neuen Lebens zum und Staunen, der “Gentle Storm” läßt Garveys Herz höher schlagen und selbst Sonnenaufgang und Planetenlauf sind nichts ohne die Augen, ohne die Gegenwart der Geliebten. Puh. Allzu dick aufgetragen kann das nennen, wer es bös mit ihm meint, sympathische Schwärmerei, wen die überhöhte Lyrik und die melancholische Gefühligkeit des Mannes nicht stören.



Auch wenn der epische Sound an Streichern und Chören kaum spart, nicht immer klingt es so schwer und philosophisch aufgeladen wie beispielsweise im gut achtminütigen Titelsong, wo Garvey die großen und kleinen Wunder dieser Welt verhandelt. Er kann es durchaus auch mit einem Augenzwinkern und feiner Ironie. Schon „All Disco“ (wie man hört, fußt das Stück auf einem Zitat von Pixies-Frontmann Frank Black) mahnt dazu, sich selbst nicht allzu wichtig zu nehmen, später gibt er für „K2“ noch ein paar Vorurteile über seine Landsleute zum Besten und reimt „God send us to a digital end, with following strangers and swiping at friends. I’ll send you a postcard, see you in Hull, in a sweater made of Atacama llama wool…” Der Humor ist ihm jedenfalls nicht abhanden gekommen, wohl aber, das muß man leider einräumen, der Sinn für klanglich Überraschendes. Zu behaglich kuschelt sich die Band in ihre Melodien, viel zu selten wird mit Gewohnheiten gebrochen – man kann sich durchaus, gerade bei den ersten Werken nach der Jahrtausendwende, an deutlich lautere, schrägere Töne erinnern, hier aber bleibt der Beat zu oft gedämpft und die Gitarren brav bis verhalten. Mehr Mut, das will man Elbow also wünschen, dem Glück des charmanten Frontmannes soll das aber keinen Abbruch tun. http://elbow.co.uk/

13.07.  Jena, Kulturarena
14.07.  Arlesheim, Dom

Der Ringer: Fassungslos [Update]

Der Ringer
„Soft Kill“

(Staatsakt)

Der Hang, alles zu kategorisieren, ist aus Sicht des Musikrezensenten sicher verständlich, muss er doch versuchen, aus dem Gegenüber zunächst einen „Zuleser“ zu machen, der sich idealerweise zu einem Zuhörer entwickelt – und das gelingt nun mal schneller und einfacher, hat man ein paar griffige Verweise und das passende Label parat. Nun tut sich die Hamburger Band Der Ringer, folgt man ihren Wortmeldungen, selbst schon schwer, eine angemessene Beschreibung für ihren Stil zu finden, auf keinen Fall Retro, sonst vielleicht Space Pop, Soft Punk, klingt alles ein wenig linkisch und bemüht, wie also soll dann erst der Außenstehende damit zurechtkommen? Gegenfrage: Was ist schon schlimm daran, das Ganze im Ungefähren zu lassen? Ohnehin wirkt der Sound des Quintetts auf so sonderbare wie reizvolle Weise undefiniert und entrückt, ein Hybrid aus wuchtigen Gitarrenwänden und feingliedrigen, synthetisch kühlen Melodiegebilden. Hinzu kommt Jannik Schneiders zuweilen verfremdete, wattierte Stimme, die in einem eigenen Kosmos zu schweben scheint und vom Orbit, Fremdbestimmtheit und der zerbrechlichen Schönheit frostiger Eiskristalle singt. Major Tom, Space Oddity, Raumpatrouille?



Das und anderes. Das Leben als Avatar und so gar nicht real, künstliche, sich selbst fremde Cyberwesen hier („Apparat“, „Violence“), faszinierende Zellhaufen dort, die einander zwar interessiert und amüsiert betrachten, aber kaum begreifen („Mikroskop“) – es ist eine seltsame Welt, die Schneider als Textur zu den Stücken des Debütalbums baut. Dabei weiß er selbst nicht so genau, was und wieviel er will. Ewiges Bemühen, bis die Knochen brechen, ist keine Alternative und zudem recht schmerzhaft, stumm der Welt beim Drift zuschauen, scheint auch nicht die wahre Lösung und so treibt ihn die eigene Ohnmacht zur Verzweiflung – „Ich will doch nur erwachsen sein“, warum aber das Ganze, das kann ihm auch keiner glaubhaft sagen. Unbestimmte Formen, gleichsam fassungslos, selten waren sie so anmutig wie auf dieser Platte. Sie haben also konsequent das fortgeführt, was sie mit ihrer EP „Das Königreich liegt unter uns“ (2013) und einem Stück wie „Keine Trance, kein Rausch, kein Beifall“ angekündigt hatten und wenn das Weltall gerecht ist, wird man sie dafür lieben.

15.02.  Hamburg, Hafenklang
16.02.  Mainz, Schon Schön
17.02.  Stuttgart, 1210
18.02.  München, Orange House
19.02.  Wien, Orangehouse
21.02.  Düsseldorf, FFT
22.02.  Leipzig, Naumanns im Felsenkeller
24.02.  Berlin, ACUD

Update: Ein weiteres Video der Hamburger Band geht auf die Reise - "Morton Morbid" wurde wie die anderen beiden Filme von Praxis Dr.Superc00l verantwortet.



PINS: Daddy Cool

Gestern war ja, was die News angeht, eigentlich Girls-Day - Gurr, Bleached und Hannah Reid (Beyoncé's Marienbild haben wir uns mal verkniffen) - da wollen wir noch einen Post hinterherschicken: Gerade erschienen ist die erste Single der kommenden EP "Bad Thing" (VÖ 24. März) von den PINS aus Manchester, wie angekündigt eine Coop mit Punk-Altvater Iggy Pop namens "Aggrophobe", zu der es auch einen schönen Clip im Netz gibt.

Donnerstag, 2. Februar 2017

Gurr: Kopfschütteln

Gurr
Support: Twin Tone Trigger
Unter Deck, München, 01.02.2017

Am Ende des Abends blieb einem nur das Kopfschütteln. Zu Beginn auch. Und mittendrin sowieso. Die Berliner Gitarrenkapelle Gurr waren zu Gast in München, um ihr Debütalbum „In My Head“ noch bekannter zu machen und so vollgesteckt und heiß der Club war, assoziierte man mit den Holzplanken an den Wänden wohl eher mit denen einer finnischen Saunahütte. Abkühlung hätte Not getan, war aber nicht zu bekommen. Stattdessen gaben sich Andreya Casablanca, Laura Lee und Jil März samt Drummer reichlich Mühe, die Stimmung zusätzlich anzuheizen. Und dazu gehört nun mal ein ordentliches Headbanging. Denn das wiederum paßt wunderbar zu den kracherten Surfgitarren, mit denen die drei Damen ihre Songs flankieren, es brettert und dengelt gar wunderbar und sollten zuvor noch irgendwelche Unklarheiten in Sachen Namensgebung bestanden haben, waren diese jetzt ausgeräumt – denn Täubchenhaftes hatte die Band an diesem Abend nun wirklich nicht zu bieten. Dagegen schweißtreibend hämmernden “Gurrlcore”, wie sie es gern scherzhaft nennen, von einer Intensität, daß sich dabei schon mal ein Plektrum verabschieden kann. Die Platte ist ja zuvor bereits in die Nähe von Bands wie Bleached, Dilly Dally, Warpaint oder gar Bikini Kill gestellt worden, doch erst live machen solche Vergleiche auch einen Sinn. Ohne Atempause brettern Gurr durch das Set, geradeso, als wollten sie den späten Start wieder wettmachen – zu den Singles “Walnuss” und “Moby Dick” gibt’s das eingängigere “#1985”, ein eingedeutschtes Beatles-Cover (“I Wanna Hold Your Hand”) und kurz vor Schluss ein hübsches MashUp aus Queen’s Dauerheuler “We Will Rock You” (hier natürlich zweckdienlich umgetextet) und dem “Hollaback Girl” von Gwen Stefani. Da waren sie dann ganz die Kinder ihrer Zeit, die den heimischen Plattenschrank geplündert haben, um zu schauen, ob sich nicht was Brauchbares daraus zusammenschrauben läßt. Hat funktioniert, wie eigentlich der gesamte Abend. Nicht einzusehen, warum aus dieser Band nicht dauerhaft etwas Größeres werden sollte. Daß sie dann in weniger intimer Atmosphäre spielen werden, wird man verschmerzen müssen.

Bleached: Hast du ein Problem, Mann?

Knapp ein Jahr ist das letzte Album "Welcome The Worms" der kalifornischen All-Girl-Kombo Bleached alt und wir alle wissen, daß sich einige Dinge seitdem geändert haben. Oder eben leider auch nicht, ganz wie man's will. Im Weißen Haus sitzt ein wildgewordener Politautodidakt und scheut sich nicht, aller Welt sein altertümliches Frauenbild zuzuzwitschern - well known facts. Aber auch das glitzerbunte Rock- und Popbiz ist nicht zwingend fortschrittlicher, vom Hip Hop mal ganz zu schweigen und so gilt die Frage von Frontfrau Jennifer Calvin wohl für jedermann: "It’s 2017, can you deal with women playing rock and roll yet?" Folgerichtig heißt die neue EP dann auch "Can You Deal?" und wird am 3. März via Dead Oceans erscheinen (Titelsong unten), mit dabei sind im Übrigen auch Hayley Williams (Paramore), Liz Phair, Alice Glass, Tegan Quinn, Mish Way (White Lung), Sadie Dupuis (Speedy Ortiz), Julien Baker, EMA und mehr. Ach ja, die Gegenüberstellung mit den Silk Rhodes schenken wir uns jetzt mal ...

London Grammar: Breitwand

Es ging verhalten los in diesem Jahr mit London Grammar und es geht ähnlich weiter: Vor kurzer Zeit gab es ja vom Trio aus Nottingham mit "Rooting For You" ein erstes Lebenszeichen nach langer Abstinenz, nun legen Hannah Reid, Dot Major und Dan Rothman ein zweites nach - "Big Picture" kommt mit einem Video der Regisseurin Sophie Muller (Coldplay, Beyoncé) daher, das in seiner Breitwandoptik mitsamt Sternenhimmel, Windmaschine und Trockeneis perfekt zum dramatischen Liedvortrag paßt. Informationen zum Album gibt es dagegen noch immer keine, einige Festivals können sich aber immerhin schon mal im Lineup mit den dreien schmücken.

Mittwoch, 1. Februar 2017

Leopold And His Fiction: Durchgerockt

Leopold And His Fiction
„Darling Destroyer“

(Independent Label Alliance)

Sollte Daniel James (was Gott verhindern möge) jemals zur Fahndung ausgeschrieben werden, es würde ihm sicherlich keine großen Schwierigkeiten bereiten, für eine Zeit lang unterzutauchen. Der Sänger der Formation Leopold And His Fiction ist eine Art Chamäleon und zwar eines mit Stil. Auch wenn seine Vorbilder laut eigener Aussage „Paul Newman, Cary Grant and vertical stripes” sind, sein Outfit ist über die Jahre erstaunlich wandelbar: tiefschwarzes Haar, Vollbart und Anzug hier, dort strenger Undercut und Schnurbar in Borat-Fasson, gern auch die wallende Mähne zum Seidenhemd und gerade erst mit blondierter Gel-Tolle – der Mann hat viele Gesichter. Nicht ganz so vielschichtig und trotzdem nicht weniger spannend der Sound seiner Kapelle – auf dem mittlerweile vierten Album seit 2006 spielt das Quartett einen wunderbar dampfenden Bluesrock mit ganz viel Drive und ordentlich Herzblut.



Vergleiche mit Jack White hört James, der passenderweise ebenfalls aus Detroit stammt, nicht eben selten, auch die frühen Kings Of Leon, Mother Tongue (wie der Rest der Fiction in Austin/Texas gegründet) und, jawoll, die Stones gehören zu den Referenzen. Was wir noch hören? Gitarrensolos, also wirklich: GITARRENSOLOS! Herrlich hingerotzte Riffs zu wuchtigen Drums und dickem Bass, so nämlich geht’s zur Stampede mit Jesse James quer durch die Pampa (“Cowboy”), danach wird, dem Stande des Bluesrockers angemessen, die komplette Klaviatur der Seelenpein durchlitten – frostige Einsamkeit, brennende Sehnsüchte, Liebesschwüre und Laufpässe, es ist eigentlich alles dabei. Dazu souliger Background, noch souligere Chöre, Streicher, Piano, ein paar Mariachi-Bläser oder eine Steel-Guitar, wenn die Herren mal kurz durchschnaufen müssen. Atemlos bleibt es trotzdem, man fühlt sich nach den elf Stücken bestens durchgerockt und ebenso gut unterhalten. Und wenn die vier, wovon auszugehen ist, die Energie von der Konserve auf die Bühne bringen können, dann ist diese Platte erst die Hälfte des Vergnügens. http://www.leopoldandhisfiction.com/



Future Islands: Gleich hinterher

Das hatte sich bei Verbreitung der Tourtermine ja schon angedeutet, nun ist des Gewissheit: Die Future Islands planen die Veröffentlichung eines neuen Albums - das Trio wird am 7. April via 4AD die Platte namens "The Far Field" ins Regal stellen, als erste Single ist gerade "Ran" erschienen. Schon mal notieren sollte man sich auch den Auftritt der Band bei Jimmy Fallon, für ihr letztes Gastspiel mit "Seasons" vom grandiosen Vorgänger "Singles" gab es ja bekanntlich viel Beifall im Netz.

21.03.  Berlin, Columbiahalle
27.06.  Köln, Live Music Hall

Dienstag, 31. Januar 2017

Deafheaven vs. Youth Code: Spring Breakdown

Nur falls wer vergessen haben sollte, wie laut geht: Deafheaven kommen im Frühjahr zusammen mit Youth Code auf Tour durch Europa und machen dabei auch in Berlin und Leipzig Halt. Pflichttermine!

02.05.  Berlin, Bi Nuu
03.05.  Leipzig, Täubchenthal



Montag, 30. Januar 2017

Schnipo Schranke: Das Pfeifen im Walde

Schnipo Schranke
„Rare“

(Buback Tonträger)

Alles stirbt irgendwann. Nicht gerade ein Umstand, der zu ausgelassener Heiterkeit verführt, aber eben: eine Tatsache. Wohl dem also, der trotz dieser Gewissheit Humor und Gelassenheit nicht verliert, oder besser noch der Unabänderlichkeit selbst frech ins Gesicht singt. Daniela Reis und Fritzi Ernst haben das schon auf ihrem Debütalbum „Satt“ ganz gut hinbekommen und noch immer ist gute Mine zum bösen Spiel gefragt. Denn auch auf „Rare“, dem neuen Album von Schnipo Schranke, gehen sie dahin: Herr Schulz, die Katze, die Liebe, alsbald auch die Lust und, wenn man nicht aufpasst, sogar die Selbstachtung. Und weil Schamlosigkeit von den beiden nicht als Schimpfwort, sondern als Aufgabe verstanden wird, werden die unterhaltsam schiefen Reime wieder mit jeder Menge vermeintlicher Obszönitäten garniert. Dabei zählt einmal mehr nicht die Zote für die Quote im Appeltschen oder Barthschen Sinn, sondern der ehrliche, unverstellte und manchmal eben auch etwas befremdliche Blick auf unseren Umgang mit Sexualität und Körperlichkeit. Wobei auch das schon wieder viel zu spaßfrei klingt. Man sollte Schnipo Schranke nicht falsch verstehen, sie taugen weder als aggro Riot-Girls noch zum Role-Model für die zuweilen verbissene Frauenbewegtheit, Zielgruppen-Mucke ist ihnen, wie sie in Interviews gern betonen, völlig fremd: „Wir wollen ja keine Vorbilder sein, sondern unsere Gefühle im Rahmen der Musik schildern. Dabei offen über Depressionen oder Schmerz zu berichten, ist uns viel wichtiger als die Frage, ob die Texte ausreichend feministisch klingen” (musikblog). Bei allem geht es wohl eher darum, mit den eigenen Erfahrungen, Nöten und Ängsten klarzukommen, diese für sich selbst (und wenn es gutgeht, auch für den Zuhörer) erträglicher zu machen – eben mit leichten, gern auch tanzbaren Klängen. Eine Art Pfeifen im Walde also. Und die hohe Kunst, graues Gefühl in beschwingte Rhythmen zu verpacken, beherrschen sie wirklich außergewöhnlich gut. Immer wieder wird dem Tristen, Schweren, Traurigen in ihren Texten eine Pointe, ein Witz, ein Versprecher mitgegeben, weil es ja sonst kaum auszuhalten ist: Der Augendreck, das Arschgesicht, die “Gefuhle in meiner Heimat seiner Schule”, Omas Tabletten und die Kapern im Müsli – face the truth und lach dabei möglichst grimmig. Und ja, es darf auch gern mal lächerlich werden, wenn man so besser damit klarkommt. Dazu der Taxidriver als namenloser Retter in der Nacht, die Murmelbahn als Ruhepol und Gedanken-Schlupfloch, der sehnsüchtige Blick ins Fenster des Nachbarn, Alltagspoesie vom Feinsten. Wer sich hier amüsiert, hat mehr vom Leben.

08.03.  Oberhausen, Druckluft   
09.03.  Köln, Gebäude 9   
10.03.  Frankfurt, Zoom   
11.03.  Stuttgart, Im Wizemann 
13.03.  München, Hansa 39   
14.03.  Erlangen, E-Werk   
15.03.  Leipzig, Conne Island   
16.03.  Dresden, Beatpol   
17.03.  Berlin, Festsaal Kreuzberg   
18.03.  Hamburg, Uebel und Gefährlich   
25.03.  Hannover, Faust

Idles vs. Art Brut: Gegenüberstellung

Wem kommen da nicht die fabelhaften Art Brut in den Sinn, die mit ihrer Textzeile "Modern art makes me want to rock out!" regelmäßig ihre Konzertbesucher zum Ausrasten brachten. Nun, hier sind also die Idles aus Bristol und deren neues Album heißt bekanntlich "Brutalism" - im Video zum Song "Stendhal Syndrome" beschränkt sich Bassist Adam Devonshire allerdings nicht nur auf zeitgenössische Kunst, sondern tanzt alles an, was so in der Londoner Tate Britain an den Wänden hängt. Ganz groß! Und hier noch mal Art Brut:

So I'm in the Tate
And I'm looking at Hockney
And wow!
There's something about that blue
Amazes me when I step outside
Oh I'm losing my time
Sweet Jesus, my heart
Is beating faster and faster
I'm palpating
I'm sweating
I just can't help myself
Modern art
Makes me
Want to rock out

Sonntag, 29. Januar 2017

Familienalbum # 22: Surfer Blood

Okay, tagsüber wird es die letzten Tage sogar mal wieder etwas wärmer, die Temperaturen nähern sich also von unten wieder der Null-Grad-Marke. Aber wir haben in der vergangenen Wochen doch reichlich zittern  und sicher öfter an Eisberge und ähnlich schöne, aber eiskalte Naturphänomene denken müssen. Und nicht von ungefähr veröffentlicht die Indie-Kapelle Surfer Blood gerade mit "Frozen" eine zweite Hörprobe aus ihrem nächsten Album "Snowdonia" (was etwas komisch ist, da die Jungs aus dem sonnigen Florida kommen und Schnee und Eis eigentlich nur vom Hörensagen kennen?!), das am 3. Februar erscheinen wird. Das Cover ziert, wie könnte es anders sein, ein riesiger Eisberg und macht man sich für ein Familienalbum auf die Suche nach Vergleichbarem, dann stößt man wieder auf Interessantes - Graphisches, Kitschiges, Beeindruckendes, Künstlerisches und den Fakt, daß der deutsche Romantiker Caspar David Friedrich mit seinem Eismeer gleich zweimal herhalten musste. Das alles wieder von links nach rechts und oben nach unten.

Surfer Blood "Snowdonia" - Islands "Return To The Sea" - Abwärts "Ich seh die Schiffe den Fluß herunterfahren" - 30 Seconds To Mars "A Beautiful Lie" - Newspaperflyhunting "Iceberg Soul" - Poison The Well "Versions" - Radiohead "Kid A" - Hannah Hoch "Floeberg" - Stillhead "Iceberg" - Stonish "Location" - Loess "Pocosin" - Mick Kershaw "Ice Age" - QuarterBIT "Enjoy It While It Lasts" - Yes "Drama"