Freitag, 30. September 2011

Respekt für die Knutschkugel



Wie überrascht man einen meistenteils verbohrten Hardcorefan auf angenehme Art? Susan Boyle, die umfangreiche Hausfrau mit dem irren Grinsen aus Britain's Got Talent, hat geschafft, was wenige ihr zugetraut haben. Als vor einigen Tagen bekannt wurde, dass sie auf ihrem nunmehr dritten Album auch Depeche Modes fast todgerittenen Klassiker "Enjoy The Silence" covern wird, lief die Gemeinde im Forum, wer konnte es ihr verdenken, Sturm - Panik, Hysterie, Rufe nach Lynchjustiz, alles dabei. Nun ist der Song im Netz und - man glaubt es nicht: Die Kommentare der Devoties fallen wider Erwarten überwiegend positiv, ja sogar begeistert aus. Na, das hat die Knutschkugel ja sauber hingekriegt - hier.

Donnerstag, 29. September 2011

Schief war besser



Dum Dum Girls „Only In Dreams“ (Sub Pop)
Glücklich, wer sich selbst zitieren kann. Zu „I Will Be“, dem Erstling der Dum Dum Girls habe ich noch Anfang letzten Jahres neunmalklug behauptet, man werde trotz des gelungenen Debüts von den Mädels aus dem sonnigen Kalifornien in Zukunft nicht mehr viel hören. Nun, da irrte der Rezensent. Offensichtlich haben Sandy, Bambi, Jules und Dee Dee den ersten Hype prächtig überstanden und konnten mit „Only In Dreams“ problemlos nachlegen. Uneingeschränkt freudvoll allerdings läßt sich die neue Platte nicht begrüßen, denn wo die erste noch unaufgeräumt und kantig, manchmal etwas verzogen und schief klang, sind auf der neuen fast alle Unschärfen und durchaus charmanten Nachlässigkeiten beseitigt, die Songs kommen allzu glatt und in nahezu identischer Fasson daher. Der Einstieg mit „Always Looking“ und feinen James-Bond-Hooks kann gerade noch begeistern, danach allerdings wurde zu häufig bei den Bangles hospitiert, die liebgewonnene, wüste Schrammelei kommt zugunsten gut gelaunter Popmucke leider viel zu kurz. Das Einerlei dauert bis zum dunklen, behäbigen „Coming Down“, das sich ein paar schillernde Noiseakkorde traut und einen wieder aufmerken läßt, auch „Teardrops On My Pillow“ können die vier als Tanz aus der Reihe verbuchen. Der Rest ist nett, aber in der Summe zu harmlos für den großen, zweiten Wurf. Eine Prognose fürs nächste Jahr gibt’s hier aber (s.o.) trotzdem nicht.
http://wearedumdumgirls.com/

Zweimal Banks für NYC



Ganz im Guttenbergschen Sinne hier eine freundliche Kopie, die sich allerdings keinesfalls als Original ausgeben will. Gemäß dem Motto, hier wird vervielfältigt was gefällt, muß also an dieser Stelle - die SPEX macht es schließlich auch nicht anders - noch dringend auf einen Artikel des GuardianMusicBlogs und damit auf die grundsympathische New Yorker Rapperin Azealia Banks hingewiesen werden, die mit ihrem feinen Song "212" und dem dazugehörigen Schwarzweiß-Video im Stile von Tyler The Creators "Jonkers" gerade für Furore sorgt. Der Arbeitsbeschreibung ist schwer etwas neues hinzuzufügen - deshalb hier im O-Ton: "It's basically three different songs fused together to create a startling three and a half minutes of attitude. The first section features a filthy rap about cunnilingus over bouncing electro beats, before the beat drops out around the halfway point giving Banks a chance to show off her singing chops. For the finale, the beat mutates again, ramping up slowly before disintegrating in a mass of tweaked synths." Genauso isses. Und dass Frau Banks auch etwas für Herrn (Paul) Banks tut und sich "Slow Hands" von Interpol vorgenommen hat, rundet diese Meldung bestens ab.
http://www.myspace.com/azealiabanks

Mittwoch, 28. September 2011

Trommelfellperforation



The Bloody Hollies “Yours Until The Bitter End” (Alive Records)
Dem Fußballspieler Thomas “Icke” Häßler wird der amüsante Spruch zugeschrieben: “Wir hatten uns vorgenommen, nicht in Rückstand zu geraten. Das hat auch bis zum Gegentor ganz gut geklappt.“ Meine Variation lautet: „Ich hatte mir vorgenommen, das dumme Gefasel der Gebrüder Gallagher nicht mehr zu kommentieren. Das hat auch bis zum nächsten dummen Gefasel ganz gut geklappt.“ Noel, stolzer Besitzer von 50 Prozent der brüderlich gerecht geteilten Beschränktheit, jedenfalls behauptete kürzlich: "Wenn es schlecht steht [um den Rock’n Roll], ist irgendwo irgendwer wie Ian Brown, Liam oder Bobby Gillespie oder ein Songwriter wie ich, der die Story wiedergeben kann". Für jemanden, dessen Verständnis von Rockmusik bei versoffenem Britpop hängen geblieben ist, geht dieser Satz natürlich in Ordnung, alle anderen sollten es vielleicht mal mit den Bloody Hollies versuchen. Garage Punk aus Buffalo, New York, so wild und ungestühm, wie es nicht einmal die Strokes in ihren Anfangstagen waren und um einiges lauter als die Kings Of Leon, als man sie noch ernstnehmen konnte. „Yours Until The Bitter End“ ist, das muß der Rezensent leider bekennen, schon ihre fünfte Platte – nicht aufgepaßt, Alter. Egal, Doyle klingt wie der Zwillingsbruder von Jack White, die Songs haben ordentlich Schmackes und erinnern so natürlich zuvorderst an die White Stripes, nicht weniger jedoch auch an liebgewonnene Rockstandards von Led Zeppelin oder der John Spencer Blues Explosion. Ach, manchmal braucht man so eine Trommelfellperforation, für den Rocker tief drinnen ist das pures Wellnessprogramm. Ganz egal, was ein Noel Gallagher für einen Bullshit verzapft.
http://www.bloodyhollies.com/

Kleines "B" aus Brooklyn



Firehorse „And So They Run Faster“ (PledgeMusic)
Natürlich ist es kein allzu großes Geheimnis, dass der New Yorker Stadtteil Brooklyn für die alternative Musikszene der Stadt und des Landes eine Art ewig sprudelnder Jungbrunnen ist. Jahr um Jahr, ja fast Woche um Woche tauchen neue Künstler auf, die sich auf das Viertel als Keimzelle ihrer Kreativität berufen. Setzt man die Menge honoriger Namen (aktuell u.a. MGMT, TV On The Radio, The Flaming Lips, The Drums, Neon Indian, Interpol, Dirty Projectors, The Strokes, etc.), bezogen auf die zur Verfügung stehende Fläche (251 km²) spaßeshalber ins Verhältnis zum Saarland (2.570 km²), kommt man auf ein wenig schmeichelhaftes Ergebnis. Natürlich ist das Kokolores, die armen Saarländer haben derartige Vergleiche nicht verdient und ohne Zweifel andere, nicht weniger lobenswerte Vorzüge. Es zeigt aber, wie gewaltig das Potential des kulturellen Melting Pots Brooklyn nach wie vor ist.

Auch Leah Siegel stammt samt ihres Projekts Firehorse aus dieser Ecke und auch sie befeuert mit ihrem Debütalbum „And So They Run Faster“ den guten Ruf des Quartiers. Auf der Promonotiz zur Platte, in grauer Vorzeit noch Waschzettel genannt, wird davor gewarnt, die Dame mit dem „B-Wort“ in Verbindung zu bringen, hört man die ersten Takte des Openers „She’s A River“, weiß man, dass „B“ für Björk stehen muss. Ähnlichkeiten zu deren Songs „Army Of Me“ oder „Human Behavior“ sind in der Tat auffällig, erschöpfen sich aber rasch. Siegel selbst bringt dagegen den Electroblues von Eels als Quelle der Inspiration ins Gespräch, auch das kann man gelten lassen – es scheppert und kratzt recht vertraut im Verlaufe der neun Songs.

Zum Glück erweist sich recht schnell, dass Firehorse nicht zum nächsten Wiederaufguß unheilsschwangerer Synthieopern zu zählen sind, zu oft variieren sie dafür Tempo, Charakter und Instrumentierung der Stücke. Wenn „Only The Birds“ verworren und verspielt klingt, hüpft „Machete Gang Holiday“ munter daher, „Puppet“ glänzt mit melancholischen Kravallgitarren Marke Interpol zu schleppendem Beat und „My Left Eye“ erinnert an eine verlangsamte, aufgehellte Version von Nick Caves „The Carny“. Ganz am Ende pluckert es für „Baby Bird“ fast neun Minuten zu sphärischen Klängen und endlos geloopten Gesangssequenzen, da zwinkert das „B“ natürlich wieder frech über die Schulter. Den Reiz der Platte kann das nicht mindern, in Brooklyn stört sich an solchen Petitessen wohl niemand, vom Saarland ganz zu schweigen.
http://www.thisisfirehorse.com/

Question? Answer.



Jetzt ist es also raus: Wie Paul Rees, Chefredakteur des Q-Magazine, kürzlich zwitscherte, wird am 26. Oktober das Novemberheft des Musikmagazins inklusive der angekündigten Cover-CD für U2's "Achtung Baby" erscheinen - mit dabei wie schon berichtet Depeche Mode ("So Cruel"), Jack White ("Love Is Blindness"), Patti Smith ("Until The End Of The World") und Damian Rice ("One"). Na denn, warten wir noch einen Monat ...

Dienstag, 27. September 2011

Entgegnung


Lieber Herr Ahlig,
tolle Sache, so eine Journalistenschule – gleich so ein fetter Zweispalter auf der 3 der Welt Kompakt und keine Schlußredaktion, die einem in die Suppe spuckt. Wie sonst wäre es zu erklären, dass Sie unkorrigiert Sachen schreiben können wie solch groben Unfug, Nirvanas „Nevermind“ hätte für den Einzug des HipHop in die Gitarrenwelt gesorgt? Sagen Ihnen eigentlich Namen wie Run D.M.C. und Aerosmith etwas, sind ihnen die Red Hot Chili Peppers mit ihrem Frühwerk geläufig oder war das alles vor Ihrer Zeit? Ebenso gewagt der Vorwurf, Nirvana wären für die Verirrungen des NuMetal und eines nicht näher benannten Post-Grunge (?) verantwortlich. Und wo sagten Sie, schreiben Sie? Metal Hammer? Und weiß man da nicht, dass Metallica seit ihrem ach so „legendären schwarzen Album“ in der Metalszene eher mitleidig belächelt werden? Dass alle Grungebands und –jünger sich durch die Bank damit hervortaten, in „dreckigen Klamotten herumzulaufen, sich von der Politik abzuwenden und ihr eigenes Nichtstun zu glorifizieren“ klingt zwar als Pointe ganz nett, geht an der Realität aber um mehr als eine Haaresbreite vorbei und hinterfragt in keinster Weise die Gründe für die Frustration einer Generation, die den Wechsel von Reagan zu Bush nicht gerade als neue Heilsverkündung wahrnahm. Da stehen Sie natürlich drüber, lieber noch ein lockerer Depressionswitz zum Abschluß. Ich denke, an diesem Thema haben Sie sich ein klein wenig verhoben und ohne ihrer Zeitschrift zu nahe treten zu wollen: Sie wären mal besser dort geblieben. Herzliche Grüße, Martin Lorenz.

Dumpfbacke zum Sammeln



Am Donnerstag dieser Woche wird die 204. Ausgabe des deutschen Rolling Stone mit einem streng limitierten Sammelcover erscheinen. Klaus Voormann, Musiker und Grafikerlegende und Schöpfer der Vinylhülle des "Revolver"-Albums der Beatles, konnte von des AS-Media für einen Siebdruck von Noel Gallagher gewonnen werden - ganz genial: Es wird nur 204 Hefte mit diesem charismatischen Charaktergesicht geben, der bedauernswerte Rest wird dann wahrscheinlich den doofen Liam auf dem Titel haben oder wieder mal Dylanspringsteenjaggerrichardsbono... etc. Um den Springer-Konzern muß einem dabei nicht bange sein, der schiebt schon am darauffolgenden Wochenende ein noch dümmeres Klebebildchenheft "Deutschland sammelt Deutschland" hinterher, Herrn Voormann allerdings sollte man schon die Frage stellen: "Where did your taste go?" Leer ausgegangene Leser können das Motiv im Übrigen ab dem Erscheinungstag für schlappe 139 Euro bei der Zeitschrift bestellen, Abonnenten bekommen selbiges für 99 Euro fast hinterhergeschmissen.

Montag, 26. September 2011

Neues vom Unaufdringlichen



Ryan Adams „Ashes & Fire“ (Capitol)
Man kann Ryan Adams sicher nicht vorwerfen, er hätte jemals aufdringliche Musik gemacht. Unausgegorene, vorschnelle Veröffentlichungen waren vielleicht dabei, denkt man an Platten wie „Demolition“, „Rock’n Roll“ oder „Easy Tiger“, die ja eher rockig sein sollten, dann manchmal auch etwas unglückliche, aber aufdringlich war er nie. Und auch sein neues Album „Ashes & Fire“ ist so völlig frei von jeder selbstgefälligen, großspurigen Pose – allein das erste Stück beginnt mit so viel Bedacht und Behutsamkeit, dass man fast das Gefühl hat, er traue sich nicht so recht ins Scheinwerferlicht zurück.

Das stimmt natürlich nicht, obschon er für seine Verhältnisse recht lange Zeit aus dem Focus war – hier mal ein Cover, da ein Reissue, diese Stille kannte man so gar nicht von dem mittlerweile 37-jährigen aus Jacksonville. Schön deshalb, dass „Ashes & Fire“ so ganz aus dem Adams’schen Humus zu kommen scheint: Klassische Arrangements ohne jeden Schnörkel, Songs, die – wie man gern dahersalbadert – so ganz auf sich gestellt sind und allein wachsen müssen. Der Titeltrack ein beschwingter Countryblues in bester Dylanmanier, das intime, mit brüchiger Stimme gewisperte „Rocks“, der Heuler „Do I Wait“ und natürlich „Chains Of Love“ – mit einer Stimme wie James Dean Bradfield, nur ohne Agitprop und hohles Pathos. Adams schüttet dem Zuhörer das Herz aus – er hat nie etwas anderes getan, Sehnsüchte, Verletzlichkeiten, Einsamkeit und Trost im Übermaß.

Er kann das – einfache Worte wählen, die anderen kitschig geraten würden, bei ihm aber nicht abgeschmackt oder aufgesetzt wirken, sondern klar und aufrichtig. „Kindness“ ist so ein Gratwandler, „Come Home“ ebenso und bei „I Love You But I Don’t Know What To Say“ ist der Titel reine Koketterie – er weiß es eben sehr genau. „The lights will draw you in, and the dark will bring you down, and the night will break your heart, but only if you're lucky now” heißt es in “Lucky Now”, der ersten Single des Albums, und irgendwie geht’s einem mit dieser Scheibe genauso – auch wenn die Freude von kurzer Dauer sein wird, man hat sie sicher für diesen einen, kostbaren Moment.
http://www.paxamrecords.com/

Grober Klotz im Netz



„James Hetfield should start drinking again!“

Userkommentar zum ersten komplett gestreamten Song „The View“ aus dem Album „Lulu“ von Lou Reed und Metallica.

Sonntag, 25. September 2011

Rock'n'Roll Hausmusik



Kitty, Daisy & Lewis, Kesselhaus München, 23.09.2011
Das hat schon was: Kids von heute machen für Leute von gestern Musik von vorgestern und alle haben mordsmäßig Spaß dabei. Das jedenfalls hätte das Credo für den Abend sein können, eine vollgepackte Werkhalle mit bunt gemischtem, erwartungsfrohem Publikum, dazu die zweifellos famose Platte der Geschwister Durham, „Smoking In Heaven“, die sie nach dem nicht minder gelungenen Debüt endgültig aus der Liebhabernische katapultiert hat. Diese so virtuose wie lässige Aufkoche alter Rockabillyrhythmen, gemischt mit Ska, Rocksteady und einer Prise Reggae – da musste die Halle kochen.

Wie aber sollte sie, wenn nur die ersten fünf Reihen den Sound in Bestform abbekamen, das Publikum jedoch schon in Höhe des Mischpults mit Zimmerlautstärke beschallt wurde und man hinten bei Bar und Galerie mit formlos wummerndem Soundbrei nur noch die ungefähre Ahnung des hippen Konzertauftriebs vernehmen durfte? Es war, bei aller Mühe, die sich die Familienbande da vorn auf der Bühne gab, ein Armutszeugnis für Veranstalter und Tonregie gleichermaßen, wie mies der Sound für die Umgebung abgemischt wurde. Abgesehen von den ständigen, störenden Rückkopplungen wurden die Boxen im Rückraum des langen Gebäudeschlauchs erst gar nicht eingestöpselt, die zuvor prognostizierte Ausgelassenheit war so nur sequenziell zu erleben.

Gerade wenn man weiß, dass Vater Graeme Durham, der die Kinder Kitty, Daisy und Lewis genau wie Muttern auf allen Konzerten musikalisch begleitet, größten Wert auf exzellenten Sound legt – erst kürzlich konnte man in der SPEX von einer launigen Führung durch sein antikes Aufnahmestudio in Camden lesen – vor diesem Hintergrund also hätte der Mann in Kenntnis dessen, was dem Zuhörer da für sein Geld geboten wurde, Qualen leiden müssen. Zynisch könnte wer behaupten, dass selbst eine Verlegung des Konzerts wegen einer Bombendrohung, wie sie der Combo neulich in Berlin passierte, wahrscheinlich nichts Wesentliches geändert hätte, Münchens Hallenkultur ist und bleibt für Bands und Publikum ein dauerhaftes Ärgernis.

Es soll natürlich keineswegs verschwiegen werden, dass man selbst bei diesen widrigen Begleitumständen ahnen konnte, wie gut Kitty, Daisy & Lewis tatsächlich an besser bespielbaren Orten harmonieren und glänzen können. Denn auch wenn sie ab und an etwas hüftsteif und unbeholfen wirken, haben sie doch alles Handwerkszeug, um die Masse vor der Bühne dauerhaft zu fesseln. Und in den seltenen, den perfekten Momenten gelang ihnen das auch an diesem Abend: Etwa beim entspannten „Tomorrow“ mit Gasttrompeter Eddie „Tan Tan“ Thornton, einem prächtig swingenden „Don’t Make A Fool Out Of Me“, dem furiosen Instrumentaljam gegen Ende oder – die Snaredrum am Bühnenrand in Stellung gebracht – mit dem rotzigen „I’m Going Back“. Die drei Geschwister ergänzen sich dabei unter den wachsamen Blicken der elterlichen Rhythmusgruppe ganz prächtig und wechselnd gekonnt die Positionen – der kantig rebellische Spielstil der älteren Schwester Daisy an Schlagwerk und Tasten war auch optisch ein entzückender Hingucker.

So entließ einen die spielfreudige Band in einer Mischung aus Mißmut, Bedauern und versöhnlicher Bewunderung, am Ausgang traf man den Blick eines gealterten Tollenträgers, der ein mildes Lächeln im Gesicht trug. Der hatte ganz sicher schon wildere Rock’n’Roller auf und vor der Bühne in seinem Leben gesehen, und sein Blick spottete vielleicht ein wenig den trendgefütterten, jetzt ernüchterten Zuhörern – die Band selbst, das würde wohl auch er anerkennen, wird sich von solchen Tiefschlägen nicht unterkriegen lassen, die sind schließlich noch jung, auch wenn sie sich unsterblich in die alte Musik verliebt haben.

Freitag, 23. September 2011

Heraus aus dem Laubhaufen



Zola Jesus „Conatus“ (Souterrain Transmissions)
Nicht selten schlagen Menschen, denen man im Gespräch mit dem Thema New Goth, sprich dem Revival trübe gelaunter Finstermucke kommt, genervt die Hände überm Kopf zusammen, manch einer täuscht sogar allergische Abwehrreaktionen wie Schnappatmung oder nervöse Zuckungen vor – die Angst vor der Wiedererweckung dieses übel beleumundeten Genres ist weitverbreitet und groß.

Und doch gibt es für Furcht nicht den geringsten Anlass. Hatte man noch Mitte der achtziger Jahre das Gefühl, das Haupterkennungsmerkmal dieser Musik wäre eine grabestiefe Stimme, welche sich stets jaulend aus einem modrigen Laubhaufen erhebt (und die Protagonisten gaben dieser Theorie auch optisch genügend Futter), so kann man jetzt erleichtert konstatieren, dass die aktuellen Wiedergänger wie Esben & The Witch oder Cold Cave, viel mehr aber noch die weiblichen Hauptdarstellerinnen bei Planningtorock, Austra, Fever Ray und EMA, der variantenreichen Musik auch wieder Ästhetik, Stilbewußtsein und Eleganz beigefügt haben. Und natürlich spielt Nika Roza Danilova alias Zola Jesus seit ihrem Debüt „Stridulum“ in dieser Liga ganz vorn mit.

Daran wird sich mit dem neuen Album auch nichts ändern, Danilova bleibt mit „Conatus“ auf dem von ihr eingeschlagenen Weg. Wieder kombiniert sie geschickt ihre barmend vorgetragenen, tieftraurigen Texte mit hypnotischen und relativ einfach strukturierten Melodien und verhaltenem, dunkel pochendem Beat, wobei auffällt, dass sie die Bandbreite ihrer Stimme deutlich mehr ausschöpft als noch beim Vorgänger. Das geht hin bis zu bloßer Lautmalerei wie bei „Ixode“, wo der Gesang nicht mehr und nicht weniger ist als eine mehrspurige Textur. Den größten Sog, das vollkommenste Leuchten erzeugen „Vessel“ und das Schlußstück „Collapse“. Ersteres habe sie, so Danilova, in dreißig Minuten geschrieben, eine betörende, technoide Klangkulisse, letzteres ein tranceartiger Trauergesang voller Schmerz und Hilflosigkeit: „And I would be nothing without your fear, because I've got no war the day it grows thin, I've got no war the day you go away. It hurts to let you in."

Vieles mehr noch ließe sich erwähnen – das trockene Schlagwerk von “Avalanche”, das überraschend helle und tanzbare „Seekir“, das recht gegensätzliche, weil poppige Ohnmachtsbekenntnis „In Your Nature“ („If it’s still in your nature, you’ll never win“) oder die sanfte Pianoballade „Skin“. Das mag verrückt klingen, aber mit etwas Fantasie entdeckt man mit der Zeit Parallelen zu Kate Bush („Hounds Of Love“) oder gar Jennifer Rush („The Power Of Love“), denn trotz der düsteren Einfärbung ihrer Songs ist Zola Jesus auf „Conatus“ mehr und mehr bereit für den großen, den gefühlvollen, gern auch pathetisch überhöhten Moment. Und da gilt dann: ein Lovesong ist ein Lovesong ist ein … naja, das ist dann vielleicht doch eine zu exklusive Sicht der Dinge. Unterschreiben muß das niemand, belassen wir es dabei, dass es eine großartige Platte geworden ist, vor- und fürsorglich für die ungemütlichen Tage gemacht, die jetzt bald anstehen.
www.zolajesus.com

Donnerstag, 22. September 2011

Platzpatronen



The Rifles „Freedom Run“ (Right Hook Records)
Da lobt man sie immer und überall, die Veränderung, und wenn sie dann mal kommt, ist’s auch wieder nicht recht. Arme Rifles, da wagen sich die Jungs aus London nach zwei formidablen und geradeausgerockten Alben auf neue und für sie reichlich ungewohnte Pfade und landen leider mitten im Sumpfgebiet des melodischen Gitarrenpops. Wer hätte das denn auch ahnen sollen? Gerade erst konnte man im Netz zwei kleinere Schnipsel eines aktuellen Konzerts der Band in Liam Gallaghers Klamottenbude „Prettygreen“ bestaunen und vielleicht hätte man da schon stutzig werden müssen, dass beide Songs, „Spend A Lifetime“ und „Romeo & Julie“, von den Vorgängern des neuen Werks, also „No Love Lost“ und „Great Escape“ stammten. Hätten die anwesenden Gäste, wegen des Auftrittsortes mutmaßlich allesamt hartgesottene Britpopfans, das neue Album vorher zur Gänze hören dürfen, den Rifles wäre wohl der Zutritt zum Laden aufs Strengste verboten worden.

Was, muß man fragen, hat die Jungs dazu getrieben, ihren einstmals so erfrischenden und knackigen Sound gegen diese langweilige und überzuckerte Popsoße einzutauschen? Angefangen bei der ersten Single „Tangled Up In Love“, die mit drögen Streichern daherkommt über das mehr als mittelmäßige „Dreamer“ bis hin zu Langweilern wie „Nothing Matters“, „Coming Home“ und „I Get Low“, alles versinkt in verkitschtem Soundbrei, den auch Keane, Starsailor und Coldplay seit Jahren verrühren. Mit etwas gutem Willen läßt sich „Long Walk Back“ dabei noch ausklammern, hier wackelt endlich mal die Bude, auch „Eveline“ und „Love Is A Key“ könnten noch als kleine Beatles-Momente durchgehen, für Britpopper ja noch immer so eine Art Pflichtprogramm.

Viel mehr aber wird’s nicht – selbst der vergleichsweise abwechslungsreichste Arbeitsnachweis, das gut sechsminütige „Little Boy Blue“, kann da nicht versöhnen, der Sound kommt zwar einigermaßen schräg daher, dafür läßt einen die politisierende Erbauungslyrik kopfschüttelnd zurück. Dass man Pop und Rock auch gewinnbringend in eine Form gießen kann und trotzdem seinen Kredit nicht verspielt, haben gerade erst die Arctic Monkeys mit ihrem „Suck It And See“ bewiesen, die Rifles allerdings müssen sich mit den Worten von Chefstern Frank Spilker fragen lassen: „Was hat Euch bloß so ruiniert?“
http://www.therifles.net/

Kommen und gehen



Gerade erst haben R.E.M. auf ihre Art den „Horst“ gemacht und einen Teil der Musikwelt in Trauer (Fans, Feuilletonisten) bzw. Angst und Schrecken (Depeche Mode, U2, Rolling Stones, etc.) versetzt, da kommt aus dem Netz als Lichtlein der Hoffnung (hat’s der Pabst womöglich mitgebracht?) folgende Nachricht daher: Guided By Voices, altgediente Könige der Low Fidelity um Sänger Robert Pollard werden wohl in naher Zukunft ein neues Album in Originalbesetzung aufnehmen. Heißen soll das Machwerk lustigerweise „Let’s Go Eat The Factory“. Ach, was hat man auf diesen Tag schon unnötigerweise schimpfen wollen ...

Disappear



Auch an dieser Stelle natürlich eine Träne für die Meldung, die es sogar in die Laufbänder geschäftiger Nachrichtensender schaffte: R.E.M. geben nach 31 Dienstjahren ihre Trennung bekannt und zwar höchstselbst auf ihrer eigenen Website:

"To all our fans and friends: as REM, and as lifelong friends and co-conspirators, we have decided to call it a day as a band. We walk away with a great sense of gratitude, of finality, and of astonishment at all we have accomplished. To anyone who ever felt touched by our music, our deepest thanks for listening."

Was sich traurig liest, scheint doch nicht mehr als ein logischer Schritt, hatte sich das kreative Potential der Band doch in den letzten Jahren als nicht mehr ganz so unerschöpflich erwiesen wie noch vor der Jahrtausenwende - Alben wie "Around The Sun", "Accelerate" und "Collapse Into Now" klangen in zunehmendem Maße selbstreferentiell und enttäuschend arm an neuen Ideen. Wenn also das alte Sprichwort noch gilt, man solle die Party am besten verlassen, wenn es am schönsten ist, dann haben sie den Absprung auf den letzten Drücker geschafft. Respekt dafür, ehrlichen Dank dazu, und natürlich die Frage: Was machen eigentlich U2?

Mittwoch, 21. September 2011

Ersatzloser Ersatz



The Duke Spirit „Bruiser“ (Co-Op)
Seit sich im Jahre 2005 Kritikerinstanz und RadioEins-Moderator Wolfgang Doebeling in seiner Rubrik „45 RPM“ beim deutschen Rolling Stone für die Single „Cuts Across The Land“ zu wahren Begeisterungsstürmen hinreißen ließ, ist einiges Wasser die Themse heruntergeflossen. Doebeling frickelt neuerdings recht eigenwillige Listenergüsse zum Thema „Die 50 verkanntesten Meisterwerke der Musikgeschichte“ zusammen, während die Londoner dieser Tage ihr drittes Studioalbum veröffentlichen – die euphorische Kurzbesprechung von damals könnte man jedoch heute noch bedenkenlos unterschreiben.

Auch wenn The Duke Spirit weiß Gott keine besonders innovative Rockmusik fabrizieren, so lassen sich in Punkto Intensität und, tja: Straightness für diese Besetzung kaum vergleichbare aktuelle Beispiele finden – sie sind härter und kantiger als Garbage, Metric oder die Raveonettes, wandlungsfähiger als Melissa Auf der Maur und für die klanglich durchaus verwandte PJ Harvey fehlt es ihnen am gesamtkünstlerischen Anspruch. Dieses Alleinstellungsmerkmal hat die Band, wie könnte es anders sein, zu großen Teilen der Weiblichkeit in Person ihrer Leadsängerin Liela Moss zu verdanken. Moss gehört mutmaßlich zu der Sorte Frauen, zu denen man(n) immer ein wenig bewundernd aufwärts schaut und mit welchen sich die kühnsten Träume samt verr(a)uchtem Absturzambiente und Whiskeyhumpen schmücken lassen. (Wer sie dann, in schwarzes Leder gekleidet, wie eine Furie auf der Bühne umherspringen sieht, weiß schnell, dass auch hier der Wunsch auf ewig Vater des Gedankens bleiben wird.*)

Die Songs auf "Bruiser", nun ja, sie könnten schöner nicht sein: „Cherry Tree“, „Villain“, „Surrender“ – alles feine Rocknummern, dominiert von Moss‘ markant rauchigem Timbre und schepperndem Gitarrenlärm, auch „Running Fire“ schleppt sich satt gemästet ans Ziel. Für „De Lux“ wurde ein sanfterer Beginn gewählt, leicht verklimpert und gegen Ende so düster, dass es auch von Interpol stammen könnte, „Northbound“ leistet sich ein schönes Mundharmonikasolo. Je öfter man die Platte hört, desto mehr wird einem bewußt, wie schwer der Verlust der walisischen Catatonia wiegt – Cerys Matthews ist Liela Moss in Stimmlage und –färbung nicht unähnlich – und wie gut es ist, vor Jahren diesen mehr als brauchbaren Ersatz gefunden zu haben.
www.thedukespirit.com

*für die Unverbesserlichen:
24.09. Hamburg/Reeperbahn Festival
25.09. Berlin/Lido
27.09. Hannover/Capitol
28.09. Köln/Luxor
30.09. München/59:1
01.10. Stuttgart/Universum

Dienstag, 20. September 2011

Sauerei: Spannung auf dem Ansitz



Unvoreingenommenheit ist ja leider eine Tugend, die man sich schwerlich erarbeiten oder antrainieren kann. Stößt man nämlich auf ein Thema und bemerkt anhand der eigenen Reaktion den mangelnden emotionalen Abstand, ist es ohnehin schon zu spät, hier würde tatsächlich nur noch ein Neuralizer (kurz: Blitzdings) der Men In Black helfen. Selbst ein gemäßigter Fleischfresser muß jedenfalls ein paar Mal kräftig schlucken, wird er des neuesten Titels am umkämpften, deutschen Zeitschriftenmarkt gewahr: „SAUEN“ heißt das Heft und ist, entgegen anderslautenden Assoziationen, ein Magazin für die honorige Jägerszunft, genauer diejenige, welche sich aufopferungsvoll um den Bestand an Schwarzwild in Deutschem Forst und Tann kümmert.

Nun, die Berechtigung solch eines Heftes mag ja kein Mensch bestreiten, ohnehin war es eine Frage der Zeit, bis sich neben Fachblättern wie BEEF! und dem „FleischMagazin“ noch weitere Titel um eine schlagkräftige Opposition zu arg verweichlichten Titeln wie „Bäckerblume“ und „Zuckerrübenzeitung“ bemühen würden. Ein Auszug aus dem Inhaltsverzeichnis der ersten Ausgabe von „SAUEN“ allerdings läßt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig:

- Exklusive Szenen aus „Schwarzwildfieber 4“
- Faszination Drückjagd
- Vollmond: Warten bis es knackt – Stille und Spannung auf dem Ansitz
- Kaufberatung: Repetierer, Automat oder Doppelbüchse?

Fürsorglich wird der Leser von Chefredakteur Roland Korioth denn auch gleich an die Hand genommen, zum neuen Heft weiß dieser: "'Sauen' ist aktiver, adrenalinhaltiger, aufgeschlossener als andere Jagdzeitschriften. Bei uns trifft Information auf Emotion." Bisher glaubte man ja eher, hier träfe lediglich Kugel auf Schwein, da muss man jetzt wohl umdenken. Na dann: Halali!
www.sauen-magazin.de

Slow Motion



Das kleine Slomo-Filmchen über Tokio, gefertigt von Regisseur Alex Lee und gepostet über kressexpress, wäre als solches vielleicht nicht besonders erwähnenswert, in Kombination mit der Musik von Flying Lotus feat. Thom Yorke ("And The World Laughs With You") ist es allemal ein Hingucker - hier.

Montag, 19. September 2011

Fossile Maulhelden



Kasabian „Velociraptor!“ (Columbia)
Verrückt, wie manchmal alles zusammenpasst. Da liest man ein paar Zeilen über dieses gefräßige und hinterlistige Biest, welches der Velociraptor in grauer Vorzeit als kleinwüchsige Unterart der Dinosaurier gewesen sein soll, warum das fiese Ding also in Crichtons „Jurassic Park“ für mehr als nur eine fossile Pflanzenfresserrolle vorsprechen durfte. Und da steht dann, dass ganze 60 Prozent des Schädels dieses Tieres aus seinem Maul bestehen – und, ja, das passt dann irgendwie auch zu dieser Band. Denn auch Kasabian sind, seit 1997 im Dienst, in erster Linie liebenswürdige Maulhelden, die es unter „beste Band der Welt“ einfach nicht können und lieber einen auf dicke Hose machen als in der Tagessuppe unerkannt mitzuschwimmen.

Stilistisch hat sich im Laufe der Jahre bis hin zur nunmehr vierten Platte nicht viel geändert, die Jungs aus Leicester bespielen noch immer eine Schnittmenge aus Oasis, Primal Scream, Pink Floyd und The Prodigy. Sie beherrschen also noch immer die fast schon ausgestorbene (sic!) großkotzige Britpop-Attitüde und stehen einem Liam Gallagher in der Kunst des lustvollen, manchmal auch nervtötenden Zerdehnens von Vokalen kaum etwas nach. Und natürlich haben sie von ihrer Fähigkeit, eingängige Mitsingnummern am Stück zu schreiben, nur wenig eingebüßt – gleich drei davon gibt es mit „Let’s Roll Like We Used To“, „Days Are Forgotten“ und dem gnadenlos romantischen „Goodbye Kiss“ zu Beginn des neuen Albums.

Für die Drogenbeichte muss diesmal der verteufelte Absinth herhalten („La Fée Verte“), ein bekiffter Tagtraum mit Mariachibläsern. Aufmerken lassen einen das komplett verkabelte „I Hear Voices“, das gefällig vor sich hin pluckert, und auch die anfänglichen Diskobeats bei „Re-Wired“ waren so vielleicht nicht zu erwarten, entwickeln sich aber leider, wie mancher andere Song auch, zu einem etwas mittelmäßigen Gestampfe. Auf das Gewummer früherer Tage muß der Fan bis fast zum Schluß warten, „Switchblade Smiles“ erinnert an die alten Kracher wie „L.S.F.“, „Club Foot“ oder „Processed Beats“, als man sich vor der PA bei Kasabian-Konzerten noch für lau die Haare föhnen konnte. Dass diese Momente fast gänzlich fehlen, macht das Album zwar keineswegs zu einem schlechten, aber für Superlative reicht’s eben auch nicht.
www.kasabian.co.uk

Thirty seconds with Lars



Zugegeben, diesen Mehrzeiler habe ich nur gepostet, weil ich die Überschrift so putzig fand - mehr gibt der etwas lieblos gesnippte Teaser vom bald erscheinenden Album "Lulu" der Herren Reed, Ulrich, Trujillo, Hetfield und Hammet wirklich noch nicht her - dunkles Grummeln vor der Mathmetalwand. Nicht halbso lustig dann der neuste Taufname für die Kollaboration: Loutallica, uff. Eine halbe Minute also - hier.