Freitag, 5. April 2013

Loslassen

The Knife
„Shaking The Habitual“

(Universal)

The Knife hatten sich einiges vorgenommen: Ganze sieben Jahre haben sich Karin Dreijer Andersson und Olof Dreijer mit dem Nachfolger für das letzte Album “Silent Shout” Zeit gelassen, es wurden Unmengen von Büchern gelesen, Ansichten geschärft und Standpunkte ausgetauscht, nebenbei gab’s noch ein paar Nebengeräusche – lohnenswerte von Fever Ray und spleenige mit der Darwinschen Evolutionsvertonung (“Tomorrow, In A Year”). Nun also der langerwartete große Wurf – mit knapp einhundert Minuten ein wahres Mammutwerk, vergleichbar vielleicht nur mit dem ähnlich kolossalen “The Seer” der Swans aus dem letzten Jahr. Und weil The Knife seit jeher eine Band sind, die neben dem Bauch auch das Hirn beschäftigen will, ist das aktuelle Album eine programmatische, höchst politische Platte geworden – das ‘Abschütteln von Gewohnheiten’ ist hier wörtlich zu nehmen: Gender, gesellschaftliches Rollenverständnis, Rassismus, Sexualität, Feminismus vs. Patriarchat – all das und mehr soll aufgebrochen, angerissen, infrage gestellt werden. The Knife wollen irritieren, fordern heraus, deshalb ist “Shaking The Habitual” ganz sicher kein Album geworden, das sich einfach mal so nebenbei weghören lässt.

Weil es so unüberhörbar anders geworden ist als seine Vorgänger, hatte das schwedische Geschwisterpaar sogar kurzzeitig darüber nachgedacht, den Namen des Projektes zu ändern, am Ende wurde diese Idee wieder verworfen. Das Doppelalbum hat dann tatsächlich mit früheren, eher danceorientierten Werken, wenig gemein, eine Vielzahl der Stücke wurden auf sieben und mehr, das Ambient-Instrumental “Old Dreams Waiting To Be Realized” gar auf knappe zwanzig Minuten gestreckt. Nicht jedermanns Sache, schon klar, auch Stücke wie das knarzend bizarre “A Cherry On The Top” und das mit Stimmsequenzen geloopte “Fracking Fluid Injection“ zerren an den Nerven und gehen an die Grenze dessen, was man als formatierter Alltagskonsument auszuhalten bereit ist.

Dennoch ist es keine reine Experimentalplatte geworden – The Knife können Avantgarde ebenso buchstabieren wie Techno und Tanz, schon die beiden ersten Tracks “A Tooth For An Eye” und “Full Of Fire” pumpen satten Beat durch die Membranen, so verklausuliert die Texte, so verstörend die Bilder dazu. Hier die amüsante Männertanzgruppe, dort die Pornoästhetik: “Of all the guys and the signori, who will write my story, get the picture, they get glory, who looks after my story? … Liberals giving me a nerve pinch … let’s talk about gender, baby, let’s talk about you and me” – Ballonseide, Bondage, Vogelköpfe, Provokation rules, Baby! Wer wie The Knife seine Profession als Privileg betrachtet, das es zu nutzen gilt, für den ist Verunsicherung dieser Art Programm: “When we see people listen to what we have to say, it makes us think about how we can use this attention in the best political way and how we can change our own working process by thinking norm-critically when making choices about who we employ, how we work, what salaries we pay”, so Karin Dreijer Andersson zu pitchfork.

Es ist ein vielschichtiges Gespinst, dieses Album – “Wrap Your Arms Around Me” kommt schwer beladen, fast majästetisch daher, “Networking” vibriert zu schnellen Drums und “Without You My Life Would Be Boring” kombiniert flirrende Beats zu taumelnden Flötentönen – “Shaking the habitual, it really tooks time”, wie wahr. Die Strukturen, Texturen, Klanggebilde lassen sich nicht im Handumdrehen erfassen, das kostet Zeit und Mühe. “Raging Lung” mit seinem soften Wummern, seiner Zweideutigkeit (Indifference/Difference), “Stay Out Here” kommt in Wellen, pulsiert ganz wunderbar und versöhnt nebenbei mit dem Verlust (“Lose your way, your way, put one foot in front of the other, most things we love are open in this, they are here, we’re more friendly…”) – es gibt vieles, was anstrengt, aber eben auch ebenso viel, was man sich behutsam aneignen kann. Wer das mitzugehen bereit ist, versteht auch das Anliegen der beiden: “It's good to ask questions instead of serving answers.“ Das ist gelungen, der Rest liegt bei uns. http://theknife.net/

Die Tour, obwohl größtenteils schon ausverkauft:
26.04.  Bremen, Pier 2
27.04.  Hamburg, Docks
30.04.  Zürich, Komplex 457
01.05.  München, Muffathalle
02.05.  Köln, E-Werk
11.05.  Berlin, Columbiahalle

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