Samstag, 3. Oktober 2020

Porridge Radio: Auf dem Seziertisch

Porridge Radio
„Every Bad“

(Secretly Canadian)

Spätestens Ende des Jahres hätte es sich ohnehin gerächt. Deshalb ist das gar nicht so schlimm (oder das kleinere Übel), sich vergleichsweise spät zu diesem Album zu Wort zu melden. Denn, um eine bekannte Phrase etwas abgewandelt anzuführen: Eine Jahresrevision zu den besten Platten 2020 ohne Porridge Radio ist zwar möglich, aber unsinnig. Gelegenheit, die Qualität der Songs von Dana Margolin, der Sängerin der Band, zu entdecken, hatte es reichlich gegeben – schon im Dezember vergangenen Jahres erschien mit „Lilac“ die erste Single, einen Monat später dann „Sweet“, weitere folgten. Doch selbst wer diese (was so unverzeihlich wie unmöglich ist) überhört haben sollte, den/die erinnerte das Quartett aus Brighton mit dem wunderbaren „7 Seconds“ als Non-Album-Track gerade wieder daran, was für tolle Songs sie zu schreiben in der Lage sind. Dabei machen sie es einem denkbar einfach, Zugang zu finden, denn Margolin gehört wie beispielsweise auch Adrianne Lenker (Big Thief) oder Romy Vager (RVG) zu der Sorte Künstlerinnen, die bereitwillig das Wagnis eingehen, Herz, Hirn und meinetwegen auch Seele uns Zuhörer*innen buchstäblich auf dem Seziertisch bloßzulegen.

Wie sie in besagtem neuen Stück von der unerwiderter Liebe singt, weil außer ihr niemand davon weiß, wie sie ihr Innerstes nach Außen kehrt und die Qual in jedem Wort und jeder Note für uns nachklingen läßt, das ist – ja, doch: überwältigend. Und solche Lieder nun sind auf „Every Bad“ viele zu finden. Man nimmt Anteil am Leben dieser nachdenklichen, von Liebe und Schmerz gleichermaßen erfüllten jungen Frau, die mit der Unverstandenheit, der Einsamkeit und den Selbstzweifeln ihrer Jugend ringt. „My mum says that I look like a nervous wreck, because I bite my nails right?down?to the flesh. And?sometimes, I am just a child,?writing letters to myself, wishing out loud you were dead, and then taking it back“, singt sie bei „Sweet“ und auch wenn das nicht zwingend autobiografisch sein muß – nichts davon wirkt irgendwie verkünstelt, alles vibriert aus Leidenschaft und schonungsloser Wahrhaftigkeit.


Margolin schenkt sich nichts und uns entsprechend viele ehrliche, zuweilen verstörende Momente. „Long“ ist ein weiteres Beispiel dieser Entäußerung, Margolin zeigt hier ihre Verzweiflung auf, wenn sie singt: „I'm not in charge of everything, I'm not in charge of anything and I'm glad it's not me“ und endet später bitter: „I'm wasting your time, I'm wasting everything“. Trost und Versöhnung sind nur selten zu finden, selbst im „Homecoming Song“ hat der kleine Schimmer Hoffung noch einen traurigen Beigeschmack. Hieß es im „Pop Song“ noch: „I'm rotten at my core, I'm ugly deep inside, my bitterness subsides sometimes for a while. But I'm jealous to my core, so I'm never coming back, the waves keep rolling in, I'm never coming back“, so antwortet sie hier zwar mit der Zeile „I’m coming home“, nicht aber ohne hinzuzufügen „I’m a sinking ship, there’s nothing inside“. Unbeteiligt kann hier niemand bleiben, der Schmerz macht betroffen, der Wirrwarr der Gefühle manchmal ratlos. Und dennoch oder gerade deshalb ist dies wohl eines der beeindruckendsten Alben, die dieses komische, durcheinandergeratene Jahr uns zu bieten hat.

02.04.  Schorndorf, Manufaktur
03.04.  Berlin, Badehaus
04.04.  Hamburg, Hafenklang
27.08.  Darmstadt, Gold Leaves Festival



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