Donnerstag, 30. Januar 2020

Hope: Vertontes Schwarz

Sinnieren wir ruhig weiter über die Dunkelheit - diese hier ist eine höchst willkommene, auch wenn der Anlass alles andere als angenehm ist. Denn Christine Boersch-Supan, Leadsängerin der Berliner Post-Punk-Kapelle Hope, thematisiert auf ihrer neuen Single "Shame" ihren ganz persönlichen Kampf mit der Anorexie. Und zwar mit drastischen Worten und nicht viel mehr als einem Moog-Synthesizer. Nun sind Hope ohnehin nicht gerade für Überschwang und gutgelaunte Ausgelassenheit bekannt, ihr selbstbetiteltes Debütalbum gewann 2017 nicht nur viele Herzen, sondern auch die ausdrückliche Anerkennung von Joe Talbot, dem Sänger der Idles aus Bristol. Es wäre eine helle (!) Freude, wenn der Single bald eine weitere Platte folgen würde - der Anfang klingt mehr als vielversprechend.

19.02.  Dresden, Ostpol
20.02.  Wien, B72
21.02.  Steyr, Roeda
22.02.  Weyer, Bertholdsaal
24.02.  München, Milla
28.02.  Baden, Werkk
29.02.  Mainz, Schon Schön
05.03.  Dortmund, Tyde Studios
06.03.  Hamburg, Hafenklang
08.03.  Berlin, Musik & Frieden
31.05.  Beverungen, Orange Blossom Special





These New Puritans: Ergänzendes

Einen erstaunlichen produktiven Eindruck machen derzeit Jack und George Barnett, bekannt unter dem Bandnamen These New Puritans. Erst im vergangenen Jahr nämlich legten die beiden ihr Album "Inside The Rose" vor, nun ist schon wieder ein neues angekündigt. "The Cut" soll am 14. Februar erscheinen und enthält, so die Band, Arbeiten aus den Sessions zur letzten Platte, teils neu, teils als Reworks oder Remixe von Künstlern wie Ossian Brown (Clyclobe, Coil), Andrew Liles (Current 93, Nurse With Wound) und Scintii. Schon "The Mirage", die erste Auskopplung, kommt mit Kinderchor und reichlich orchestralem Beiwerk daher, die komplette Liste aller 29 Tracks (!) gibt es u.a. bei den Kollegen von Clash.





Mittwoch, 29. Januar 2020

Friedliche Übernahme: Eliza Shaddad 1/6

Zugegeben, wir haben schon lange auf diese Chance hingearbeitet, nun hat's endlich geklappt: Eliza Shaddad, Londoner Ausnahmekünstlerin, die wir hier im Blog schon lange Zeit begleiten und deren Debütalbum "Future" (Oktober 2018 bei Beatnik Creative) nicht nur bei uns für euphorische Zeilen sorgte, hat gerade ihre neue EP "Sep~Dec" veröffentlicht. Anlass genug, sie nach ihren musikalischen Vorlieben, Vorbildern und Einflüssen zu fragen - kurz, sie zu bitten, hier mal kurz die Regie zu übernehmen ...

1  Hole "Northern Star" (Celebrity Skin", 1989)

"Einer meiner absoluten Favoriten, wenn du das Gefühl hast, dass du gegen die Welt in den Krieg ziehen willst. Meine Schwester und ich haben früher während der Familienferien in unserem Schlafzimmer immer mitgebrüllt, auch heute noch kann ich mich so auf der Bühne am besten verausgaben." (Auf die Frage, warum doch erstaunlich wenig Grunge auf der Liste stünde und weshalb gerade die streitbare Courtney Love dort auftaucht) "Ich habe einen merkwürdigen, sehr vielfältigen Geschmack - ich liebe den Vibe von Grunge, aber letztendlich sind es die Lieder, egal welchen Genres, die mich immer wieder kriegen, und immer und immer wieder sind es die, bei denen mich der Text regelrecht anschreit, dies ist eines dieser Lieder.  Als ich diese Platte zum ersten Mal hörte, war ich mir der Geschichten um Courtney Love nicht wirklich bewusst, so dass sie mein Verständnis oder meine Liebe zu ihr nicht beeinträchtigten, als ich aber später die Deutungen dahinter las, machte die emotionale Anziehungskraft für mich sehr viel Sinn."

Friedliche Übernahme: Eliza Shaddad 2/6

2  Nina Simone "Mississippi Goddam“ (Live in Antibes, 1965)

"Dieses Lied ist so voller Feuer, Gewicht und politischer Kommentare und klingt doch so schwungvoll, freudig und mühelos. Besonders liebe ich Ninas Live-Aufnahmen, die Rohheit ihrer Darbietungen ist für mich eine ständige Quelle von Ehrfurcht und Inspiration." (Gibt es denn auch bei Eliza Shaddad eine kämpferische, eine politische Seite?) Nun, ich habe Philosophie studiert, also argumentiere ich gerne ... und ich schätze, in der Vergangenheit war ich ziemlich politisch. Als Studentin habe ich mich sogar mit Freunden zusammengekettet, wir legten uns so an eine Tankstelle, um gegen die Aktivitäten von Shell in Irland zu protestieren. Mein Vater setzt sich aktiv dafür ein, den Sudan zu einem fairen und demokratischen Land zu machen. Grundsätzlich bin ich also von der Politik inspiriert, gehe auf Demonstrationen, unterschreibe Petitionen und versuche so, auf dem Laufenden zu bleiben und die Dinge um mich herum nicht zu verdrängen. Aber es fällt mir schwer, das Politische direkt in meine Texte einzubringen. Ich denke immer wieder, dass ich einen Weg gefunden habe - aber die Lieder bleiben unfertig. Aber vielleicht gelingt es mir das ja in der Zukunft einmal besser."

Friedliche Übernahme: Eliza Shaddad 3/6

3  Bob Dylan "To Ramona" (Another Side Of Bob Dylan, 1964)

"Früher habe ich das Stück oft als Cover gespielt - Bob Dylan ist wirklich der erste Künstler, der mich dazu inspiriert hat, Musik und Texte richtig zu schreiben. Ich war besessen von ihm, hörte mir die Hälfte seines Back-Katalogs an, der wirklich riesig ist (wahrscheinlich etwa 30 Alben, haha), und schrieb dann meinen ersten Song als Erwachsene - darüber, mir den Kopf zu rasieren." (Der Einwand, Dylan gehöre vielleicht nicht zu den meistgenannten Vorbildern ihrer Generation, wird schnell weggewischt) "Also ich denke, er sollte jede Generation als Vorbild anführen! Mein Mitbewohner an der Universität hat mich mit ihm bekannt gemacht, und ich habe mich einfach in so vielen großartigen Alben verirrt. Aber letztendlich sind es vor allem die Texte, die mich gepackt haben - so schön, so viel Kraft und Ruhe und Wahrheit." (Gibt's denn vielleicht eine Textprobe des besagten ersten Versuchs ...?) "Haha, sicher:

'Kiss goodbye your GHDs
Get ready to feel the wind on your head
And for being called baldy'"

Friedliche Übernahme: Eliza Shaddad 4/6

4  John Martyn „Go Down Easy“ (Solid Air, 1973)

"Dieses Lied läßt mich dahinschmelzen. Ich habe an einem Konservatorium hier in England Jazz studiert und mir auch viele traditionelle Volkslieder aus Bibliotheksbüchern, CDs und dem Album, von dem dieses Stück stammt, selbst beigebracht; "Solid Air" ist für mich die ultimative Kombination aus Jazz und Folk, auf dem alle Songs von Johns ausgeprägter, fesselnder Stimme und seinem Gitarrenspiel geprägt sind." (Gibt es denn auch Bezüge zum aktuellen Folk- und Jazz-Revival, zu Bon Iver, den Fleet Foxes oder Flying Lotus und Kendrick Lamar?) "Ehrlich gesagt, nicht wirklich. Ich war während des Folk-Revivals nicht in Großbritannien. Ich erinnere mich, dass ich nach London zurückkehrte, mir dann zwei Alben von Laura Marling anhörte und das Gefühl hatte, etwas verpasst zu haben. Jazz wiederum habe ich immer schon gehört, aber erst jetzt beschäftige ich mich mit modernerem Cross-Over ... und da sind das schon ziemlich starke Sachen dabei."

Friedliche Übernahme: Eliza Shaddad 5/6

5  Junip „In Every Direction“ (Fields, 2010)

"Aktueller als die anderen Songs - das hier ist eine Art Tour-Favorit. Sobald ich ihn höre, fühle ich mich endgültig wie auf Reisen und bin sofort aufgeregt." (Welche Musik hörst du vor Konzerten und wie wählt man die Stücke aus, die für das Publikum beim Warten gespielt werden?) "Ich höre selten etwas, bevor ich auf die Bühne gehe, aber wenn ich es tue, dann etwas energiegeladenes, guten Pop zum Beispiel. Vor kurzem habe ich Caroline Polachek probiert, einerseits, um mich zu beruhigen, aber auch als Kraftquelle. Und für's Publikum? Nun, man macht einfach eine Liste mit der Art von Musik, die die Leute fühlen sollen. Also besser nicht zu heavy, wenn sie ruhig sein sollen, haha. Und nicht zu kalt, wenn es darum geht, positive Energie aufzubauen. Das alles kann aber ziemlich knifflig werden - ich sitze manchmal Stunden an solchen Playlisten, weil ich jedes der Menschheit bekannte Genre einbeziehen möchte und das auf der anderen Seite keinerlei Sinn ergibt."

Friedliche Übernahme: Eliza Shaddad 6/6

Den eigentlichen Anlass, die wirklich äußerst gelungene EP "Sep~Dec", wollen wir natürlich auch nicht vergessen. Drei Stücke finden sich darauf: "One Last Embrace" funktioniert fast wie eine Art Erkennungsmelodie für den Zugang zu Eliza Shaddad - grungy, dunkel, verzerrt und doch mit wunderschönen Melodien verwoben, die den Song zum Schwingen bringen. Aus "Same As You" kann, wer will, eine klitzekleine Reminiszenz an Nirvana heraushören, Shaddad bezeichnet ihn als einen Teenager-Moment, es handelt also von dem, was in jungen Jahren unser Leben bestimmt, Abgrenzung, Unverständnis, Sinnsuche. Und schließlich die Liebeserklärung "Girls", geschrieben für eine ihrer ältesten Freundinnen, die sie lange Jahre ihres Lebens begleitet hat, hier erzählt sie von der Schwierigkeit, solche Beziehungen dauerhaft aufrecht zu erhalten, gerade wenn Bewährungsproben und Schicksalsschläge anstehen. Der Name der EP, die Shaddad mit Produzent BJ Jackson standesgemäß in einem einsamen Häuschen in Cornwall aufgenommen hat, ist im Übrigen angelehnt an ihre erste Veröffentlichung namens "January~March" und soll etwas von dem Weg vermitteln, den sie bis heute zurückgelegt hat. Wer nun Lust auf ein neuerliches Live-Erlebnis bekommen hat, der geht dieser Tage zu Konzerten von Keane, dort nämlich steht Eliza Shaddad als Support auf der Bühne.

03.02.  Berlin, Verti Music Hall
10.02.  Hamburg, Docks

Dienstag, 28. Januar 2020

Die Kerzen: Und immer wieder Liebeslieder

Die Kerzen
Support: whoiswelanski
Milla, München, 27. Januar 2020

Kein Scheiß: Da sitzt man mit seinem Bier in der übersichtlich gefüllten Milla und scrollt aus lieber Langeweile am Smartphone rum - macht doch genau in diesem Moment ein ehemaliger Mitschüler derselben Jahrgangsstufe (nennen wir ihn Heiko, weil Ost-Abi) eine dieser allseits beliebten WhatsApp-Gruppen auf, gegen deren Mitgliedschaft man sich bekanntermaßen nicht wehren kann, ohne gleich als Spaßbremse und/oder Soziopath missverstanden zu werden. Und teilt doch dieser Heiko einen Schwung Fotos längst vergangener Tage, die man eigentlich im Giftschrank verschlossen glaubte, die man nie, also wirklich niemals wieder hatte sehen wollen und vor denen man nun sitzt und hilflos den Kopf schüttelt. Erzwungener Zeitsprung also: Diese Haare! Diese Klamotten! Diese, nein: unsere einfältigen, albernen Gesichter! Bildgewordene Peinlichkeiten. Und dann erklingen von der Bühne die ersten Töne, Bier geschnappt, Telefon weg, ab nach vorn - und man ist doch tatsächlich noch in der gleichen, alten Zeit geblieben! Natürlich nicht optisch, denn Die Kerzen aus Berlin wissen sich so stilvoll zu kleiden, dass selbst ein Leopardenshirt noch lässig wirkt. Und auch die Frisuren sind es nicht. Es ist der Sound, das kitschig Überhöhte, Schummrige, auch mal Schwülstige. Die Treueschwüre, Leidenschaften, Sehnsüchte und Jammertäler, der ganze Herzschmerz also von damals.



Die Katze, Fizzy Blizz, Jelly del Monaco und Super Luci (so nennen sie sich) auf Platte zu hören ist eines, sie live und in grellbunter Farbe zu sehen, eine ganz andere Nummer. Denn all das hat so gar nichts, was einem peinlich sein müßte. Das ist unbekümmert, vergnügt, will nur Spielen. Oder todtraurig, wehmütig, zerstört, möchte in den Arm genommen und getröstet werden. Und wirkt doch entgegen aller Unkerei nicht halb so künstlich wie die Blumengrüße aus Sebnitz, die auch von der Bühne grüßen. Liebeslieder, mehr nicht, da macht Sänger Fizzy kein Hehl draus, denn nur darum geht es. Und um die Flucht vor Machbarkeitsstudien, Risikoabschätzung und eiskalt kalkuliertem Gewinnertum, weg von Ratio und Pragmatismus, dorthin, wo die Schwäne weinen, nach Saigon oder wenigstens ins Solarium, mit Al Pacino und Karamba. Klar stecken da Spandau Ballett, Duran Duran, Wham! und sogar ein bisschen Klaus Lage drin, vor allem aber viel von den eigenen Träumen, den unerfüllten, den zerbrochenen. Und von dem Gefühl, das man mal hatte, als man noch nichts wußte und trotzdem viel mehr möglich schien. Auch Die Kerzen sind keine sechzehn mehr, aber sie trauen sich, so zu tun, als ob sie's noch wären. Denn peinlich ist uns der Blick auf die alten Bilder heute eigentlich nur, weil wir schmerzhaft merken, wie weit weg wir von dieser wohltuenenden Gedankenlosigkeit schon sind. Und dass der Weg zurück nicht mehr funktioniert. Mit dieser Band aber gelingt wenigstens ein liebevoller Blick zurück. Das bestickte Batikshirt ziehen wir dann trotzdem nur zu Hause an, da draußen würde es ja doch niemand verstehen.

DC Schneider: Folgerichtig

Dass wir sie kürzlich erst zusammen mit den ebenso fabelhaften The Düsseldorf Düsterboys, also Peter Rubel und Pedro Gonsalvez Crescenti (auch bekannt als International Music) erwähnten, war wohl eine Art vorherbestimmtes Zeichen. Oder hängt ganz schnöde damit zusammen, dass die Band DC Schneider aus Den Haag von ebenjenen beiden Herren produziert wird. Also meint, ihr neues Album, das für den Frühsommer (ach was für ein seltsames Wort - als könnte der je zu früh sein) bei Staatsakt terminiert ist und mit der Single "Starbucks" eine erste Kostprobe vorausschickt. Angenehm dunkel, warm, bassy, was Joana und Leonie Schneider gemeinsam mit Trijntje Noske und James Alexandropoulous-McEwan da neuerdings anbieten, das könnte absehbare, weil angenehme Folgen haben. Hoffentlich.

20.03.  Düsseldorf, Ritus Underground Shows

Montag, 27. Januar 2020

My Ugly Clementine: Einmal Wien süßsauer

Supergroups sind ja eigentlich so ein richtiges Männerding. Allein schon ziemlich alpha, fühlen sie sich im Starhaufen noch viel superer. Aber wer sagt, dass nur sie diese Idee gepachtet haben? Warum sollen das nicht auch Frauen ebenso gut hinbekommen? Zum Beispiel eben My Ugly Clementine aus Wien? Dahinter nämlich verbergen sich Sophie Lindinger, die wir schon als weibliche Hälfte des Popduos Leyya kennen, Mira Lu Kovacs (5K HD, Schmiede Puls), Kathrin Kolleritsch (KEROSIN95) und Nastasja Ronck (Lucid Kid). Die Recherche zum Namen läßt einen dann leicht schmunzeln, denn eine Clementine soll ja laut allwissendem (?) Onlinelexikon ein Hybrid (echt jetzt) aus Mandarine und Pomeranze sein, letztere wiederum eine Kreuzung aus Mandarine und Pampelmuse. Davon abgesehen, dass es nicht wundern würde, wenn sich die Pampelmuse als Verschnitt zwischen Clemtine und Pomeranze outete - es versinnbildlicht auf's Schönste den Charakter von Text und Musik des Quartetts: Schöne, auch mal süße Melodien, saure, meint kritische Zeilen. Das Debütalbum der vier heißt dann passenderweise auch noch "Vitamin C", neben den drei bislang bekannten Vorauskopplungen "Never Be Yours" und "The Good The Bad The Ugly" schickt die Supertruppe nun noch "Playground" ins Rennen - die komplette Platte kommt am 20. März bei Ink Music.

09.04.  Krems, Kino im Kesselhaus
10.04.  Weyer, Bertholdsaal
11.04.  Vöcklabruck, OKH
13.04.  Berlin, Prachtwerk
14.04.  Hamburg, Uwe
16.04.  Salzburg, Argekultur
18.04.  Darmstadt, Kammerspiele
19.04.  Passau, Zeughaus
22.04.  Wien, Arena
24.04.  Neußerling, Noppen Air
28.04.  St. Pölten, Cinema Paradiso
29.04.  Nürnberg, Muzclub
30.04.  Innsbruck, Die Bäckerei
01.05.  Dornbirn, Spielboden
02.05.  München, Milla





Freitag, 24. Januar 2020

Billie Eilish: Nach ihren Regeln [Update]

Ja, es gibt wohl nicht wenige Eltern, die sich insgeheim so eine Mischung aus Tank Girl, Poison Ivy und Pippi Langstrumpf zur Tochter wünschen: Billie Eilish ist ein sehr eigensinniges, überaus selbstbewußtes Mädchen, das das Leben gerade so nimmt, wie es nach dem sensationellen Erfolg ihres Debütalbums "When We Fall Asleep Where Do We Go?" eben kommt. Wer sie beispielsweise bei Jimmy Fallon (s.u.) gesehen hat, der weiß, dass Eilish keine von den überdrehten Stardomehunterinnen ihres Alters ist, für die der Ruhm immer zu früh kommt, weil sie damit zu keiner Zeit umgehen können. Die Songwriterin aus Kalifornien hat sich ja herausgenommen, keine klassische Hitplatte zu produzieren, sondern eine sehr abwechslungsreiche Sammlung all ihrer musikalischen Vorlieben, seelischen Stimmungen, es finden sich dort sowohl Ängste als auch Träume, denn all das macht sie aus. Dass sie nebenher versucht, ihrem Erfolg auch ein wenig ökologische Nachhaltigkeit - wie bei der Gestaltung ihrer anstehenden Welttournee - zu verpassen, macht sie gleich noch sympathischer. Heute Nacht jedenfalls hat sie endlich ihren lang erwarteten neuen Track "Everything I Wanted" gepostet und der ist, wie nicht anders zu erwarten war, ein Hit. Und zwar einer nach ihren Regeln.

14.07.  Berlin, Mercedes Benz Arena
15.07.  Köln, Lanxess Arena

Update: Nach Bondsong und mutmaßlichem Grammy-Regen heute mal was zum Anschauen - Billie Eilish veröffentlicht das von ihr selbst verantwortete Video zu "Everything I Wanted", gedreht mit ihrem Bruder Finneas.





Donnerstag, 23. Januar 2020

Rosalía: Treueschwur

Die Grammys stehen ins Haus und als ob die letzten Platten und Singles noch nicht genug Argumente böten, kommt Rosalía heute mit einem weiteren neuen Track um die Ecke. "Juro Que" ist deutlich traditioneller gehalten als der vorangegangene Song "A Palé", das Video hat Tanu Muino gedreht, die farbenfrohe Kulisse entpuppt sich dabei schnell als Telefonraum im Knast, in welchem die Künstlerin ihrem Lover, gespielt von Omar Ayuso.

Mittwoch, 22. Januar 2020

Hayley Williams: Schutzbehauptung

Eine Überraschung mit Seltenheitswert (nun ja, das haben die wohl so an sich) kommt heute von Hayley Williams. Die Sängerin der amerikanischen Rockband Paramore ist mit Soloaktivitäten nicht gerade häufig aufgefallen, streng genommen steht mit "Teenagers" aus dem Jahr 2009 nur eine einzige Single zu Buche. Das soll sich ändern. Denn für Mai ist ihr Debütalbum "Petals For Armor" angekündigt, entstanden zusammen mit einer Reihe guter Freunde und Bandmitgliedern. Und die erste Auskopplung "Simmer" hat wahrlich das Zeug, hohe Erwartungen zu wecken - das Video von Warren Fu kommt mit düsterer Kulisse und kalkuliertem Grusel, das Stück selbst hält so schöne Zeilen wie die folgende bereit: "And if my child needed protection, from a fucker like that man, I'd sooner Gut him, cause nothing cuts like a mother". Nun, man weiß auf Anhieb, wie sie das meint.

Dienstag, 21. Januar 2020

070 Shake: Eine eigene Sprache

070 Shake
„Modus Vivendi“

(GOOD/Island Def Jam)

Die Story ist tatsächlich fast so spannend wie die Musik selbst: Danielle Balbuena, 23, aufgewachsen in North Bergen, New Jersey, in einem Township am Hudson River. Die Mutter selbst jung aus der Dominikanischen Republik in die Staaten gekommen, das Kind kämpft früh mit ADHD und in der Folge mit den Nebenwirkungen der verabreichten Medikamente, Drogen kommen ins Spiel. Die Erfahrung, dass homosexuelles Leben gegen die Erwartungen der Familie, gegen die Konventionen steht und nicht nur Erfüllung und Glück, sondern auch Einsamkeit und Verzweiflung bedeuten kann – einziger Ausweg: Sie schreibt. Gedichte, Texte, erst nur die Worte, später mit Musik. Dann der Durchbruch – Kanye West entdeckt sie für das Team von „Ye“, in seinem Gefolge Kid Cudi, Nas. Und Pusha T., im Track „Santeria“ vom Album „Daytona“ ist sie eine einzige Offenbarung. Danach: Mixtape, Kontakt zu David Hamelin (The Stills), Debütalbum. Ihr „Modus Vivendi“, ihr way of life also scheinbar eine Traumkarriere? Vom Problemkind zum neuen Star der Hip-Hop-Szene, das androide Tech-Tank-Girl mit Wut und Baseball-Schläger, da muß man schon aufpassen, dass einem im Überschwang nicht die Metaphern ausgehen. Besser, man hält sich an die Musik, denn die spricht eine ganz eigene Sprache.



Und ist gar nicht so leicht einzuordnen. Afropop-Rhythmen, Dancehall, Ambientklänge, Rap, Trap, Grime. Der eigentliche Start erst mit Track drei „Morrow“, dann aber wunderbar tief und dunkel, die ganz dicken Synths, die Stimme durch den Vocoder geschickt, herrlich. Im Netz findet sich der schöne Satz von ihr, dass ihr die Platte in einem frühen Stadium „too Barbie“ klang, ergo: „I don’t want to make it better, I want to make it worse.” Was nicht schlechter, sondern wohl eher authentischer, rougher, disruptiver meint. Und das ist ihr wunderbar gelungen. Die Tracks, die viel von gebrochenen Herzen, Enttäuschungen und von Selbstbehauptung handeln („Divorce“, „Guilty Conscience“), sind zwar textlich unmißverständlich und hart, der Sound aber setzt den warmen, den geschmeidigen Kontrapunkt. Selten, dass die Beats und Rhymes so schnell und stakkatoartig kommen wie in „Daydreamin“, einem Track, dem man die Verehrung für Missy Elliott deutlich anhört. Mittendrin übrigens noch eine kleine Überraschung – „The Pines“ entpuppt sich als Rework des frühen Klassikers „Where Did You Sleep Last Night“ aus dem Jahr 1870, den auch Nirvana schon (in anderer Form, versteht sich) im Programm hatten. Alles in allem ein Debüt, das mit Kraft und Kreativität, mit Tiefe und reichlich Emotion aufwarten kann und jetzt schon ein Ausrufezeichen für 2020 setzt.

22.01.  Köln, Yuca
27.01.  Berlin, Bi Nuu



Montag, 20. Januar 2020

Danube: Aus der Ferne

Und noch ein Song zum Tagesausklang: Vor einigen Jahren hatten wir über die Gender Bombs, ein gemeinsames Projekt des Slut-Keyboarders René Arbeithuber und Stella Lindner, berichtet. Die beiden gehen mittlerweile getrennte Wege, Arbeithuber nimmt gerade mit seiner Band das nächste Album auf, Lindner ist vor Jahren nach Berlin gezogen und hat dort unter dem Namen Danube (engl./franz. für Donau) eine Reihe neuer Songs eingespielt. Unterstützt wurde sie dabei von Tobias Siebert (auch And The Golden Choir, Klez.e) und Simon Frontzek (Produktion, Master). Die erste Kostprobe, die sie Ende 2019 geteilt hat, nennt sich "Touch Mahal", die Inspiration dafür fand sie auf einer Reise nach Indien und wie man im selbstgedrehten Video unschwer erkennen kann, spielt auch Lindners Engagement für Artenvielfalt und Klimaschutz keine unbedeutende Rolle. Das Stück selbst erinnert etwas an die späten Veröffentlichungen von Super 700 und kommt als geschmeidiger Songwriterpop daher, am Ende von einer angenehm schroffen Gitarrenspur getragen. Im Februar soll die nächste Single folgen, ein komplettes Album, so Lindner, ist ebenfalls in Planung.



Mura Masa: Der ehrliche Weg

Mura Masa
„R.Y.C.“

(Polydor)

Manchmal ist man schon erstaunt, wie abgeklärt junge Menschen sein können. Zum Beispiel dieser dreiundzwanzigjährige Junge, aufgewachsen auf Guernsey, der Insel vor der Insel. Vor drei Jahren ist Alex Crossan aka. Mura Masa mit seinem selbstbetitelten Studioalbum durch die Decke gegangen, eine kluge, lockere Tanzplatte, auf der sich Stars wie A$AP Rocky, Charli XCX, Nile Rodgers und Damon Albarn tummelten. Es wäre ihm wohl ein Leichtes gewesen, das Namedropping in gleichem Stil fortzusetzen und den Erfolg zu wiederholen, doch gerade das, so sagte er dem FADER, wollte er nicht sein – der „EDM dude who makes dance records“. Dann schon lieber auf die Musik besinnen, die er in seiner frühen Jugend gehört hat, New Order, Joy Division, Talking Heads, also etwas mit Gitarren. Nun ist es aber so, dass gerade die Älteren nicht müde werden zu betonen, dass Rockmusik so gar keine Zukunft hat und das Heil ausschließlich in der Elektronik liege. Darauf seine forsche Entgegnung: „It’s only dead if you’re making dead music.”



Sagte er und nahm mit “R.Y.C.” ein Album auf, das von einem reinen Gitarrenalbum zwar meilenweit entfernt ist, aber dennoch beide Stilmittel zueinanderbringt und auch bei der Zusammenstellung der Gästeliste gekonnt in beiden Lagern wildert. Auf der einen Seite sind mit Clairo und vor allem Ellie Rowsell von Wolf Alice klassische Songwriterinnen dabei, die roughen, wuchtigen Stücke wie „I Don’t Think I Can Do This Again“ und „Teenage Headache Dreams“ zusätzlichen Grip geben. Aus der anderen, der elektronischen Ecke wiederum kommen Georgia („Live Like We We’re Dancing“) und die heißeste britische Hoffnung Slowthai. Letzterem hatte Crossan ja schon ein Feature auf dessen Debüt „Nothing Great About Britain“ beigesteuert, der „Doorman“ geht derart ab, dass selbst Sleaford-Mods-Frontmann Jason Williamson mit einer Mischung aus Erstaunen und Anerkennung bei Veröffentlichung twitterte: „Who's this on the radio who sounds like us?!“



Wirklich erstaunlich aber an dieser Platte ist, dass auch die Songs ohne jede fremde Hilfe das Niveau mühelos halten können. Bei „Raw Youth Collage“ repetiert Crossan unablässig ein und denselben Akkord und begleitet so wehmütige Kindheitserinnerungen, „No Hope Generation“ hüpft und hämmert angepunkt durch die Gegend – ein Song, der so gut wie kein zweiter hier das Dilemma seiner Generation zwischen Frust und Hoffnung, zwischen Rückschau und Zuversicht auszudrücken versteht. Und dann das großartige „In My Mind“, wo satte Beats auf taumelnde Synthloops treffen, jugendlicher Überschwang auf Selbstzweifel und Unentschiedenheit. Er ist also nicht nur bemerkenswert abgeklärt, sondern auch ziemlich ehrlich und kann damit auch ein Stück weit seinen Weg erklären: „We need to learn to use the good things and abandon the useless elements. This music is an exploration of that“, so sagt er in erwähntem Gespräch, und weiter: „There’s a need for music that has urgency and emotional honesty. That’s why people are reintroducing themselves to guitar music - that instrument has an ability to emote.” Wirklich ein kluger Bursche.

03.03.  Zürich, X-tra
05.03.  München, Tonhalle
07.03.  Berlin, Columbiahalle
14.03.  Hamburg, Inselparkhalle

Sonntag, 19. Januar 2020

The Düsseldorf Düsterboys: Wie es euch gefällt

The Düsseldorf Düsterboys
Rote Sonne, München, 17. Januar 2020

Die Frage nach der Ernsthaftigkeit einer Unternehmung ist ja eine durchaus berechtigte. Und natürlich auch eine sehr deutsche. Und manchmal ist sie auch angebracht - hier allerdings nicht so sehr. Denn: Wären sie denn da, wenn sie es nicht ernst meinten mit ihren Songs? Und: Warum um alles in der Welt ist es denn so wichtig, das so genau zu wissen? Es wird wohl so sein: An dem Essener Quartett The Düsseldorf Düsterboys scheiden sich die Geister. Die einen halten ihre Platte "Nenn mich Musik" für abgedrehten, spinnerten Quatsch und können auch mit dem etwas lauteren Zwilling International Music nicht viel anfangen. Anderen wiederum gefällt gerade das Ungefähre, Verschwommene, dieses Schwanken zwischen überhöhter Traurigkeit und trostloser Schwere auf der einen und kluger Ironie (auch mancher Albernheit) auf der anderen Seite. Die Zartheit der Stücke, die Poesie der Texte irritiert genau so, wie sie einen für die Band einnimmt. Wenn sie uns liebevoll hohler Phrasen überführen, einfachste Dinge benennen und ihnen eine Bedeutung zuweisen, die wenigstens nachdenklich macht. Dazu dieses angesoffen Verschwofte, das sich anfühlt wie ein Rausch, der zu früh kommt und den Rest des Tages mit einer Taubheit überzieht, alles dimmt und wattiert und einen angenehm bewegungslos zurückläßt. Und zwar mit einem Lächeln auf den Lippen.

Das funktioniert in einem szenigen Club vielleicht nicht ganz so gut, macht aber trotzdem Spaß - weil es auch den vieren auf der Bühne augenscheinlich gefällt. In rote Schummrigkeit getaucht, wirken die Drone-Folk-Songs noch ein Stück düsterer, werden aber durch die Ansagen von Peter Rubel und Pedro Goncalves Crescenti sofort wieder gebrochen ("Jetzt machen wir aber wieder was Trauriges"), an den Instrumenten darf gern mal dilettiert werden, wenn es der Entspannung dient. Andererseits eben: Wann hat man zuletzt schon mal Zeilen gehört wie diese: "Es geht mir gut, es geht mir gut, es geht mir gut, so gut. Nur ab und zu, geht es mir nicht so gut, dann geht's mir schlecht, so schlecht... Dann geht's mir richtig schlecht. Doch immer dann, wenn's mir so geht, fällt mir wieder ein, schon bald geht's mir wieder gut. Und dann geht's mir gut, dann geht's mir wieder gut"? Was hier fast kindlich naiv daherkommt, könnte auch ein kurzer Blick in den dunklen Schlund der Alltagsdepression sein, ganz so, wie man es gerade heraushören will. Dass sie beides zulassen, einen weder in die eine noch in die andere Richtung drängen, das ist die größte Qualität ihrer Lieder. Auch an diesem Abend.

Nocturnal Sunshine: Gestaltenwandlerin

Wo wir gerade bei der Maschinenmusik sind - Ende letzten Jahres hat die Britin Maya Jane Coles unter ihrem Moniker Nocturnal Sunshine ihr vielbeachtetes zweites Album "Full Circle" veröffentlicht. Die gebürtige Londonerin (mit teils englischen, teils japanischen Wurzeln) ist ja in vielerlei Gestalt unterwegs, als Solokünstlerin mit zwei Studioplatten und reichlich Kurzformaten und natürlich als Remixerin zahlreicher anderer Stars wie Little Dragon, Amy Winehouse, Tricky, Depeche Mode und The XX. Auch auf dem besagten Longplayer findet sich eine ansprechende Gästeliste aus der Hip-Hop- und Danceszene. Für die aktuelle Singleauskopplung "Gravity" stand Coles der Australier Ry X zur Seite, bei "Possessed" wiederum teilt sie sich mit Peaches die Arbeit.



Mechanimal: Verlust und Erinnerung

Wenn es um Synthpop geht, wendet man seinen Blick vielleicht nicht geradewegs nach Griechenland, sondern versucht es zunächst in England oder den USA. Könnte ein Fehler sein, denn dieses Projekt hier kommt aus Athen und muß sich hinter den Kandidaten aus den genannten Ländern wirklich nicht verstecken. 2012 ist das selbstbetitelte Debüt von Mechanimal erschienen, Giannis Papaioanou und Freddie Faulkenberry haben seitdem noch zwei weitere Alben veröffentlicht. Für den 27. Januar ist nun die vierte Platte "Crux" via Inner Ear Records gemeldet, im vergangenen Jahr gab es davon schon die drei Tracks "Easy Dead", "Holy Punk" und "Red Mirror" zu hören, nun kommt "Stolen Flesh" samt Video und sehr persönlicher Geschichte hinterher. Papaioanou dazu: "Der Song widmet sich der liebevollen Erinnerung an einen vertrauten Freund, den wir verloren haben. Es geht darum, wie es sich anfühlt, wenn man einen derart lieben Menschen verliert: Alle Liebe offenbart sich in ihrer Größe als äußerst schmerzhafter Erfahrung. Aber wir bleiben hier, um diese Liebe und die Erinnerungen lebendig zu bewahren, wo sie jeden kleinen Riss und jedes Detail unseres Alltags verschönern."









Samstag, 18. Januar 2020

KUMMER: Überraschung gelungen

Dass Felix Kummers Soloalbum "KIOX" ein gutes werden würde, stand für uns außer Frage. Doch dass ausgerechnet der Song, bei dem sich Vorbehalt und Zweifel die Hand gaben, als einer der stärksten entpuppte, war dann schon einigermaßen überraschend. Gemeinsam mit Max Raabe hat Kummer den Track "Der Rest meines Lebens" aufgenommen und die Paarung funktioniert erstaunlich gut - und ist, jetzt wo wir auch Raabes Teilhabe am neuen Album von Samy Deluxe kennen, die erfreulichste Überraschung des Chemnitzers. Hier das Video, wie schon "9010" als eine Art biografisches Fotoalbum angelegt.

Freitag, 17. Januar 2020

Wire: Zweierlei Maß, eindeutiges Urteil

Wire
"Mind Hive"
(Pink Flag"

Natürlich wird immer und überall mit zweierlei Maß gemessen. Auch hier. Über die Rolling Stones ziehen wir her, weil sie ihren Job nicht endlich an den Nagel hängen, sondern selbst mit Rollator und Stützkorsett noch jede Stadionbühne dieser Welt bespielen. Blink 182 und Green Day finden wir reichlich albern mit ihrem angeranzten Revoluzzergehabe und wenn Axl Rose seine Band samt Bierplauze auf die Bühne hievt, wird höhnisch applaudiert. Dadrock, you know? Anders dagegen bei Leonard Cohen, Marianne Faithfull, Nick Cave oder Neil Young, da ist es plötzlich Kultur, da hat es Stil und Charme und darf gar nicht genug kosten (Stil hat es tatsächlich, aber das steht auf einem anderen Blatt). Und auch die Londoner Kapelle Wire wird in diesem Kontext bewertet. Obschon seit 1976 und damit fast fünfundvierzig Jahre im Dienst, dulden wir sie nicht nur, sondern feiern jedes ihrer letzten Alben - und davon gab es reichlich - mit großem Getöse. Warum? Nun, auch wenn Colin Newman, Graham Lewis und Robert Grey (die drei Herren aus der Urbesetzung) mittlerweile ziemlich alt aussehen, sie haben es an Mut und Kreativität über die Jahre nicht fehlen lassen.



Angefangen beim Punk, hat sich die Band im Laufe ihres Bestehens durch Rock, Post-Punk, Wave und Synthpop gearbeitet und klang dabei - ob nun mit oder ohne "e" am Ende - immer frisch und inspiriert. Die ganz große Sprünge hat so mancher Fan vielleicht bei den letzten fünf, sechs Alben, die seit 2008 und "Object 47" entstanden sind, vermisst. Aber Substanz hatten die Platte alle. Und wie um zu beweisen, dass sie sich auch noch den einen oder anderen gewagten Bruch zutrauen, beginnt das vorliegende "Mind Hive" mit einer Art Mathmetal-Riff, das selbst Metallica neidisch machen könnte. Wer das jetzt schon für ein Wagnis hält, sollte mal besser bis Titel sieben und acht warten. "Oklahoma" und "Hung" nämlich halten für die Zuhörer*innen dronigen Gitarrenlärm, letzteres sogar in Wire-untypischer Überlänge von acht Minuten, bereit. Krass, möchte man sagen. Und: Richtig gut. Zwischendrin gibt's noch lockere Popsongs ("Cactused"/"Off The Beach"), Psychedelic á la Pink Floyd und mit "Primed And Ready" einen veritablen Waverock-Hit. Hat da wirklich wer etwas von über den Zenit gesagt? Andere schon, Wire mit Sicherheit nicht.

Blond: Liedzyklus

Der Unverkrampftheit wird ja ganz gern das Wort geredet - hab dich nicht so, hast wohl 'nen Stock im Arsch, mach dich doch mal locker, solche Sachen. Doch wenn sich dann mal jemand wirklich locker und unverkrampft gibt, schaut mache/r auch recht blöd aus der Wäsche. Die Geschwister Kummer mit ihrer Kapelle Blond sind nun nicht gerade dafür bekannt, sich an gängige Konventionen zu halten. Weil sie aber im Gegensatz zu Schnipo Schranke eher Rockistinnen sind, ist ihr Lied über den berüchtigten Zyklus etwas derber gehalten - "Es könnte grad nicht schöner sein" packt das Thema ohne übertriebene Vorsicht an und läßt es auch kräftig spritzen. Das Album "Martini Sprite" dann wie angekündigt mit allen zuvor besprochenen Singles am 31. Januar.

Donnerstag, 16. Januar 2020

Porridge Radio: Erwartungsgemäß

Vielleicht waren wir bei Bekanntgabe der ersten neuen Single von Porridge Radio aus Brighton etwas zu vorsichtig - "Lilac" war eher Ballade als Rocksong und entsprach nicht so ganz den Erwartungen, die das englische Quartett um die charismatische Sängerin Dana Margolin mit ihrem Studiodebüt "Rice, Pasta And Other Fillers" (2016) und den nachfolgenden Stücken geweckt hatte. Nun aber liefern die vier mit "Sweet" den erhofften Killer nach, es kracht gewaltig im Gebälk und auch das Video von Sam Hiscox fängt einiges von der explosiven Stimmung ein. Das nächste Album wird den Titel "Every Bad" tragen und am 13. März bei Secretly Canadian erscheinen.





Moaning: Nicht wie es scheint

Nun, ganz so gutgelaunt, wie einen das Bild da oben auf den ersten Blick glauben lassen will, sind Moaning aus Los Angeles sicher nicht. Je länger man in die Gesichter von Sänger und Gitarrist Sean Solomon, Bassist Pascal Stevenson und Drummer Andrew MacKelwie schaut, desto deutlicher meint man eine Mischung aus Frustration, Langeweile und Fatalismus zu erkennen. Das  wiederum passt bestens zum Bandnamen und deckt sich auch mit dem, was man neben der erfreulichen Verlautbarung eines neuen Albums (20. März via Sup Pop) über die Band lesen kann. Solomon nämlich soll in der Zeit nach dem recht erfolgreichen, selbstbetitelten Debüt aus dem Frühjahr 2018 mit psychischen Problemen gekämpft haben, von Depressionen ist die Rede und manchem mehr. Das soll, auch davon liest man, nun aber vorbei sein, dennoch oder gerade deshalb beschäftigt sich die neue Platte "Uneasy Laughter" mit genau diesen Themen - Mental Health, Sinnsuche, Selbsterfahrung. Und auch der erste, vorab veröffentlichte Song "Ego" kommt geradeheraus zur Sache: "We used to care, but we forgot, have more in common than we do not, what part of you relates to me, narcissism is not empathy" heißt es dort und im Chorus weiter: "I wanna be anybody but myself, I wanna love anybody but myself."



Sløtface: Erneute Prüfung [Update]

Das war schon 2017 ein frommer Wunsch, den zu realisieren vielen Menschen ziemlich schwer gefallen sein dürfte (puh!). Da nämlich erschien das Debütalbum der norwegischen Band Sløtface mit dem wunderbaren Titel "Try Not To Freak Out". Was, wie gesagt, leichter gesagt als getan war, denn das Quartett um Haley Shea gab sich alle Mühe, den Zuhörer*innen kräftig in den Hintern zu treten, Ausflippen war da eher an der Tagesordnung. Sollten sie besagten Wunsch beibehalten haben, werden wir auch zukünftig vor ähnlichen Problemen stehen, denn schon die Zwischenmeldungen "Telepathetic" aus dem Sommer und "Stuff" gingen ganz ordentlich ab und auch die aktuelle Single "S.U.C.C.E.E.S.S." steht ihnen in nichts nach. Der Titel der zweiten Platte heißt im Übrigen "Sorry For The Late Reply", die Veröffentlichung ist für den 31. Januar 2020 bei Propeller Recordings anberaumt. Und wir versuchen mal, die Füße still zu halten, zumindest bis zu den Konzerten der vier im November.

07.11.  Köln, Luxor
10.11.  Hamburg, Knust
11.11.  Berlin Bi Nuu
13.11.  Wien, Chelsea
14.11.  München, Backstage
Neu:
03.04.  Hamburg, Bahnhof Pauli
04.04.  Berlin, Badehaus
05.04.  München, Feierwerk
06.04.  Köln, Helios 37

Update: Vier Songs haben die Norweger*innen mittlerweile geteilt, der neueste ist "Tap The Pack" und dauert keine zweieinhalb Minuten.


Mittwoch, 15. Januar 2020

Lankum: Neue Räume

Neuigkeiten gibt es von der wunderbaren Dubliner Formation Lankum, die sich selbst ja gern Folk-Miscreants nennen. Dabei sind die vier dem traditionellen, irischen Folk keineswegs feindlich gesonnen, sie erschließen ihm nur neue Räume, fügen zum Beispiel Drone-Elemente hinzu und kreieren so ungewohnte und lebendige Soundstrukturen. Im Oktober vergangenen Jahres haben Cormac Dermody, Daragh Lynch, Ian Lynch und Radie Peat ihr aktuelles Album "The Livelong Day" veröffentlicht, nun kommt zum Song "Hunting The Wren" ein Live-Video hinzu. Die aktuelle Tour enthält, einziger Makel, leider noch keinen Deutschland-Termin, wir hoffen also weiter, das sie als Headliner auch hierzuland bald zu sehen sind.



Poliça: Bedingt leidensfähig [Update]

"Ohne Leiden keine Kunst" - man hört den Spruch ja in dieser oder jener Form häufig und mag ihn dennoch nicht so recht glauben. Künstler sehen das naturgemäß etwas anders, ob allerdings Channy Leaneagh heute so einfach unterschreiben würde, darf bezweifelt werden. Der charismatischen Frontfrau der amerikanischen Band Poliça nämlich ist dieses Leiden wortwörtlich in die Quere gekommen, 2018 stürzte sie im Winter vom Dach ihres Hauses und zog sich bei diesem Unfall eine ziemlich schmerzhafte und langwierige Verletzung der Wirbelsäule zu. Die Genesung forderte ein Höchstmaß an Geduld und so hatte sie genügend Zeit, den Sinn des Lebens hin- und herzuwenden. Auf Betreiben ihres Arztes gehörte diese psychische Exkursion sogar mit zum Heilungsprozess dazu, in den Linernotes zur neuen Platte "When We Stay Alive", die am 31. Januar 2020 bei Memphis Industries erscheinen soll, liest sich das wie folgt:

“Laying in bed, as I healed from a 10 foot fall of carelessness with my life, I would dream of running in green grass and tears would pour from my eyes. “Running in the tall tear grass; imagine wanting life and the want remains.” That is a feeling to hold onto; that life is worth living even when all the towers are crumbling and this goes beyond my own little accident but the world around me. Following the crone into the sinking ship and having the chance to return without a shadow. Drive on, Drive on. A second chance you won’t forget”.

Diese Ausführungen beziehen sich natürlich auch auf die erste Singleauskopplung "Driving", die wir hier mit einem Video von Isaac Gale verlinken - sanft angetriebener Synthpop, sehr eingängig, die Stimme bestechend zart wie eh und je. Zum Nachfolger der letzten Veröffentlichungen "Shulamith" (2013) und "United Crushers" (2016), beide so persönlich wie politisch, wird es im Übrigen auch eine kleine Clubtour durch Deutschland geben.

16.02.  Frankfurt, Zoom
18.02.  Köln, Artheater
19.02.  Hamburg, Grünspan
25.02.  Berlin, Columbia
29.02.  München, Hansa 39

Update: Nach "Driving" und "Forget Me Now" (mit Video) gibt es heute den dritten Song vom neuen Album - hier kommt "Steady".







Dienstag, 14. Januar 2020

PVA: Maximaler Hype

Wenn der NME Hype schreit und dieser wiederum vom Londoner Indielabel Speedy Wunderground gefeatured wird, dann ist tatsächlich Obacht angesagt. Schließlich kamen von dort auch Acts wie Black Midi, Squid und die Flamingods. Nun also: PVA. Meint nicht die Pensionsversicherungsanstalt, das Polizeiverwaltungsamt oder Karpfenfutter. Sondern ein superhippes Dancetrio, ebenfalls aus der englischen Hauptstadt, das höchstens einen entfernten Bezug zu Polyvinylalkohol aufweist. Gerade wird ihre erste Single "Divine Intervention" ziemlich gefeiert, Auftritte der maximal coolen Frontfrau Ella Harris zusammen mit ihren Bandmates Josh Baxter und Louis Satchell erinnern etwas an die von The XX, nur mit etwas mehr Bewegung. Wer mag, kann sich hier noch einen Teaser zum Track "Talks" anhören, auf der Labelsite gibt es zudem noch den sehr feinen Savage Gary's Christmas Dub der Hit-Single.



Montag, 13. Januar 2020

The Wants: Ästhetik ist alles

Den Aufschlag in Sachen Post-Punk hatten wir ja in 2020 schon gemacht, natürlich wird der nicht nur auf der britischen Insel gespielt, sondern kommt auch aus New York. Wir erinnern uns beispielsweise an die wunderbare Band Bodega aus Brooklyn, die 2018 mit dem Debütalbum "Endless Scroll" ebenjenen Beweis antrat. Zwei Mitglieder des Quintetts, namentlich Madison Velding-VanDam und Heather Elle, haben sich gemeinsam mit Jason Gates zum Projekt The Wants zusammengefunden und planen nun für den 13. März via Council Records die Veröffentlichung ihres Debüts "Container", welches mutmaßlich nicht nur wegen der formidablen Musik, sondern auch wegen des schönen Dosen-Covers viel Lob ernten wird. Unter den zwölf Tracks findet sich nicht nur die soeben geteilte Single "The Motor", sondern auch das im Dezember erschienene Stück "Clearly A Crisis" - und auch hier ist das Artwork, nun, etwas speziell.


Pigs Pigs Pigs Pigs Pigs Pigs Pigs: Eingeweide

Die drei ersten Gedanken, die einem beim Erstkontakt durch den Kopf schießen? Rollins, Pink Floyd, Pythons, Reihefolge nach Belieben. Grundsätzlich wird sich jedes Gespräch über die Kapelle Pigs Pigs Pigs Pigs Pigs Pigs Pigs aus dem nordenglischen Newcastle Upon Tyne schwierig gestalten, denn noch bevor man den Bandnamen komplett durchbuchstabiert hat, rollen die Augäpfel des Gegenüber genervt nach oben - man braucht Geduld. Und widerstandsfähige Ohren, denn die Band, gern auch mal auf Pigsx7 verkürzt, gehört eher zu den lautstarken ihrer Zunft. Das zusammen mit der üblicherweise kurzen Sporthose des Sängers Matt Baty bei Livekonzerten sorgt für die erste Assoziation - Henry Rollins also in frühen Tagen. Die vervielfachte Schweinerei kommt so natürlich auch bei Pink Floyd (da waren's aber nur drei) vor und in Sachen Optik liegt ein Bezug zu den Animationen von Monty Python auch nicht so fern. Das dazu. Der Rest ist schnell erzählt - das Quintett hat mit seinem Debüt "King Of Cowards" für reichlich Aufsehen über die Grenzen des Heimatlandes hinaus gesorgt und nun steht mit "Viscerals" im April der appetitliche Nachfolger bei Rocket Recordings in den Startlöchern. Wir können hier schon einmal die erste Single "Reducer" aufbieten, der Konzertkalender bietet allerdings Stand jetzt nur einen einzigen, mageren Termin.

03.05.  Berlin, Arena





070 Shake: Endlich mal allein [Update]

Damit hier nicht nur alter Kram steht, kommen wir zur Abwechslung mal zu einer Art Debütantin. Die Rede ist von Danielle Balbuena, angehender RnB/Rap-Star aus New Jersey. Unter ihrem Moniker 070 Shake war die Zweiundzwanzigjährige schon mit Kanye West, Pusha T und Nas gemeinsam im Studio, nun soll endlich ihr erstes eigenes Solo folgen. Am 17. Januar erscheint auf West's Label G.O.O.D. Music laut Information von Brooklyn Vegan ihr Album "MODUS VIVENDI", bislang sind davon die beiden Killertracks "Morrow" und "Nice To Have" bekannt, nun kommt mit "Under The Moon" ein weiterer dazu. Ach ja, für zwei Termine kommt das Mädchen sogar nach Deutschland, was also will man mehr?

22.01.  Köln, Yuca Club
27.01.  Berlin, Bi Nuu

Update: Einen weiteren Track vom neuen Album gibt es dieser Tage mit "Guilty Conscience".







Sonntag, 12. Januar 2020

Selena Gomez: Triumph der Produzenten

So, wenn schon Pop, dann richtig und deshalb sagen wir hier auch noch ein paar Sätze zum neuen Album von Selena Gomez. "Rare" heißt das und nach all den unfreiwilligen Pausen für die Frau, deren Karriere ja eigentlich als Schauspielerin begonnen hat, ist die Veröffentlichung für sie nicht nur eine ganz persönliche Genugtuung, sondern auch ein ziemlich gut gemachtes Stück Musik. Die Zeiten, in denen ältere Menschen die Hits jüngerer Generationen bedenkenlos, ja sogar einigermaßen begeistert mitsingen können, hat es zwar schon immer gegeben - die Häufung, mit der das gerade in diesen Monaten geschieht, erstaunt aber schon. Denken wir an HAIM, Billie Eilish, Ariana Grande oder meinentwegen auch Justin Bieber und Ed Sheeran. Alles perfekt austarrierter Produzentensound mit guten Ideen und nicht übermäßig vielen Kanten. In diese Kategorie gehört dann auch das neue Werk von Gomez, die Liste derer, die an ihrer dritten Platte mitarbeiten durften, ist so lang wie honorig und wenn man den einen oder anderen Durchhänger im Mittelteil und manchen arg übertriebenen Schluchzer wegläßt, macht das Ding wirklich Spaß. Angefangen beim gerade erst bebilderten Titelstück über die Singles "Lose You To Love Me" und "Dance Again" bis hin zum feinen Banger "Look At Her Now".









Georgia: Perfect workout

Auch aus London, auch Pop, allerdings ist ihr neues Album gerade erst erschienen: Georgia Rose Harriet Barnes, kurz Georgia, ist nicht nur die Tochter des Leftfield-Drummers Neil Barnes, sondern hat sich mit ihrem 2015 erschienenen, selbstbetitelten Debütalbum auch ohne Papas Hilfe einen Namen gemacht. Die knapp dreißigjährige Künstlerin arbeitete nach einer abgebrochenen Karriere als Fußballerin zunächst als Drummerin u.a. für Kate Tempest, bevor sie begann, eigenständig Songs zu schreiben und zu veröffentlichten. Für ihre aktuelle, zweite Platte "Seeking Thrills" nun hat sie sich gut knapp fünf Jahre Zeit gelassen, währenddessen sind eine Reihe hervorragender Stücke entstanden - "Never Let You Go" zum Beispiel, "About Work The Dancefloor", "Feel It" oder "Started Out", alle begleitet von höchst unterhaltsamen Videoclips. Das gilt natürlich auch für die neue Single "24 Hours", einmal mehr der passende Stoff für den perfekten Workout.











Gengahr: Hochklassige Ware

Auch im neuen Jahr ein paar sonntägliche Spotlights, Tipps für gute Musik gibt es schließlich auch 2020 nicht zu knapp. Nicht von ungefähr fangen wir da bei der Londoner Formation Gengahr an. Die Pokémon-Freunde sind seit 2015 am Start und haben bislang zwei Alben veröffentlicht - das "Debüt "A Dream Outside" brachte sie sofort in den Ruf, klugen Feinkostpop statt durchschnittliche Meterware abzuliefern, der Nachfolger "Where Wildness Grows" konnte das mühelos bestätigen. Nun hat das Quartett für Ende Januar Platte Nummer drei "Sanctuary" via Transgressive angekündigt, produziert hat Jack Steadman vom Bombay Bicycle Club. Neben den bislang bekannten Songs "Atlas Please", "Heavenly Maybe" und "Everything And More" wird auch die aktuelle Vorauskopplung "Never A Low" auf dem Werk zu finden sein, im Set auf der kommenden Tour dann ohnehin.

26.02.  Köln, Blue Shell
27.02.  Berlin, Maze
28.02.  München, Folks! Club
29.02.  Hamburg, Molotow









Freitag, 10. Januar 2020

Messer: Neues Jahr ohne Zukunft

Ehe es mal so richtig weg ist, das alte Jahr, das dauert. Denn auch diese Nachricht gehört noch mit zur Kategorie "Was wir noch schuldig sind". Denn wir hatten zwar schon Vermutungen zum Titel des neuen Albums der Münsteraner Band Messer geäußert, so richtig sicher ist es damit aber erst um die Jahreswende herum geworden. Platte Nummer vier wird nun tatsächlich "No Future Days" heißen und am 14. Februar bei Trocadero erscheinen. Da sich nicht nur der Sound von Hendrik Otremba und Kollegen gehörig gewandelt hat, sondern auch die Optik, teilen wir hier zum Beweis noch das Coverfoto. Und weil auch die Tourdaten schon vernetzt wurden, gibt es mit "Tapetentür" eine weitere Vorabsingle neben "Anorak" und "Der Mieter" zu hören.

Donnerstag, 9. Januar 2020

DIIV: Back for best [Update]

DIIV
„Deceiver“

(Captured Tracks)

Mit jeder aktuellen Bewertung werden ja in der Regel auch die Erinnerungspreise vergeben – klingt wie das, gemahnt an jenes, es läßt sich eigentlich immer etwas finden, das die Zuordnung einfacher und dem Rezensenten die Arbeit leichter macht. Den entsprechenden Pokal in dieser Kategorie werden in diesem Jahr zweifellos die vier jungen Herren von DIIV zugesprochen bekommen. Weil sie an eine Epoche erinnern, bei der sie selbst noch gar nicht ans gemeinsame Musizieren dachten. Genaugenommen haben Zachary Cole Smith und Andrew Bailey ihre Formation (in wechselnden Besetzungen) erst 2011 ans Laufen gebracht, ganze zwanzig Jahre, nachdem beispielsweise ein gewisser Billy Corgan zusammen mit den Smashing Pumpkins das Debüt „Gish“ veröffentlichte, nach Alternative, nach Grunge und natürlich auch nach Shoegazing, zumindest, wenn wir von der Gründergeneration reden. Bei all diesen Stilrichtungen nämlich haben sich DIIV großzügig bedient und zwar so gekonnt, dass sie mit ihrem eigenen Erstling „Oshin“ und erst recht mit dem folgenden „Is The Is Are“ die Vorbilder fast vergessen ließen. Ganz nebenbei sah Cole auch eine Ecke besser aus als Corgan und sorgte so für reichlich gerötete Wangen und Ohnmachtsanfälle bei der weiblichen Anhängerschaft.



Lange ging das nicht gut, schon nach Veröffentlichung der ersten Platte kamen die ersten Drogen ins Spiel, später dann unschöne Szenen auf offener Bühne, Zankereien, Trennungen, die komplette Klaviatur jugendlicher Selbstüberschätzung, Verzweiflung, Absturz, last exit rehab. Dass die Band, im speziellen Cole, tatsächlich den Weg zurück fanden, grenzt da fast an ein Wunder, dem NME erzählte er gerade: “The big thing was that in all my exposure to recovery, I was looking for an easy solution and I found out there’s not one,” es war also mehr als harte Arbeit nötig. Eine, die sich gemessen am Ergebnis, mehr als gelohnt hat, denn das vorliegende Album ist, man möchte es kaum glauben, ihr bislang bestes geworden. Härter, kompromissloser, lauter, auch dunkler, voller Abgründe und trotzdem verdammt stimmig. Dass DIIV den Weg zurück als Vorband der amerikanischen Blackgazer Deafheaven schafften, hört man dem Werk ohne Weiteres an, dass mit Sonny Diperri jemand an den Reglern stand, der schon für My Bloody Valentine produzierte, war ebenfalls kein Fehler.



Die elf Songs sind verblüffend eingängig und trotzdem von griffiger Härte, die ersten beiden Singles „Skin Game“ – Coles Tagebuch des Kampfes mit den inneren Dämonen und Versuchungen – und „Taker“ ließen schon vorab Hervorragendes ahnen und spätestens als mit „Blankenship“ der erste richtige Hit nachgeschoben wurde, war klar, dass ihnen mit „Deceiver“ ein später Killer gelungen war. Die sorgsam im Studio aufgeschichteten Riffs dröhnen prächtig zwischen den einschmeichelnden Melodien und auch wenn der Vergleich mit „Gish“ oder „Mellon Collie …“ etwas hoch gegriffen scheint, so ist es doch eine beachtliche Nummer geworden. Der Schlußtrack „Acheron“, ganze sieben Krachminuten lang, zieht noch einmal alle verfügbaren Register, zu Zeilen wie „Hate the god, I don’t believe in, heaven’s just a part of hell“ schmirgeln die Saiten gar wunderbar, es bersten die Kuh- und die Trommelfelle zu gleichen Teilen. Ein unverhoffter, ein großer Wurf.

Update: Mit dem neuen Video zu "The Spark" kommen nun endlich auch ein paar Livedaten für den März - Zeitreise ist also dringend angesagt!

05.03.  Hamburg, Gruenspan
08.03.  Berlin, Festsaal Kreuzberg
10.03.  Wien, Szene Wien
11.03.  München, Strom
12.03.  Zürich, Rote Fabrik