Sonntag, 18. August 2019

Sleater-Kinney: Kleine Hoffnung, großer Wille

Sleater-Kinney
„The Center Won’t Hold“
(Caroline)

Also dann doch keine Online-Petition? Gut so. Man hatte ja in den letzten Wochen den Eindruck, Carrie Brownstein und Corin Tucker müssten sich weitaus öfter zum überraschenden Ausstieg ihrer Langzeit-Freundin und -drummerin Janet Weiss rechtfertigen als über das neue, neunte Album ihrer Band Auskunft zu geben. Was einem wiederum den so wütenden wie albernen Protest der Anhänger der TV-Serie „Game Of Thrones“ ins Gedächtnis rief, die sich lauthals über den Ausgang der letzten Staffel „ihres“ Fantasie-Epos‘ beschwerten und allen Ernstes einen erneuten Abschlussdreh einforderten – Misery ließ grüßen. Nun, wir können es kurz machen – die Fans von Sleater-Kinney scheinen die weitaus vernünftigeren zu sein, niemand hat Weiss‘ Weiterbeschäftigung eingeklagt und so bleibt der eigentümliche Titel der aktuellen Platte die einzige Parallele zwischen Westeros und Washington. Denn der erinnert etwas an den tapsigen Hodor und die Herkunft seines Namens, das dringliche Mantra „Hold The Door!“.

Ungewohnt denn auch der Beginn des Albums, man hört und soll es wohl hören – hier hat Neuproduzentin Annie Clark alias St. Vincent Regie geführt: Maschinenlärm, kühle, metallische Schläge (die erste, aber nicht die einzige Reminiszenz an den Sound von Depeche Mode), dröhnende Synthesizer und dahinter der unheilvolle Chor proklamierend: „The center won’t hold!“, Verzweiflung macht sich breit. Und somit auch das bestimmende Thema dieses so düsteren Werkes. Sicher wäre es für Brownstein, Tucker und Weiss (sie war ja bei Produktion noch an Bord) ein Leichtes gewesen, einfach ein wütendes Anti-Trump-Album hinzurotzen, Mittelfinger raus, Zeigefinger vor. Erwartungen erfüllt? Doch Sleater-Kinney sind zu klug, sie wissen, dass die Welt nicht so einfach tickt, dass die Wut in beide Richtungen ausschlägt, hüben wie drüben überzogen, überdreht, reflexartig zurückgebissen wird, Reflektionen Mangelware. Schwarz oder weiß, gut oder böse, wo ist die Trennlinie, wo hält wer ein, besinnt sich, stoppt die Hysterie?



Sie wissen es selbst nicht, gleich die drei ersten Songs machen das klar. Die Gitarren laut, die Stimmen fiebrig, alles scheint zusammenzubrechen, alles steht auf dem Spiel, die Dunkelheit ist auf dem Vormarsch und wir können nicht dagegenhalten. Zumindest nicht allein. Das destilliert die Band als den wohl einzigen Hoffnungsschimmer – den Zusammenhalt, den gemeinsamen Widerstand, „reach out, touch me, I can’t fight without you, my friend“. Die Beschwörung der Gemeinschaft zieht sich zugleich mit der Hoffnungslosigkeit als roter Faden durch die elf Stücke, durch das rastlose Leben, die Entfremdung und Vereinsamung des medialen Overkills, der Zusammenhalt vorgaukelt, uns aber am Ende doch allein zurücklässt („Can I Go On“). Ein Auf und Ab durch Ruinen, hinfallen, aufstehen, weitermachen. Und an das denken, was verbindet: „Love“ als anrührende Würdigung der eigenen, fünfundzwanzigjährigen Bandgeschichte, bezeichnenderweise mit einem beherzten „Fuck!“ am Ende. Aufgeben? Niemals!



So dunkel hier grundiert wurde, so gelungen ist der Sound. „The Center Won’t Hold“ ist einmal mehr eine musikalische Referenzsammlung, ein wilder Ritt durch die Jahrzehnte. Wir hören Blondie, Bikini Kill, B‘52s, Go Go’s, Bangles – natürlich und nicht ohne Grund hauptsächlich weibliche Vorbilder, denn so selbstverständlich wie Sleater-Kinney Anti-Trump sind, so wichtig ist ihnen natürlich auch die Betonung des Kampfes um Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Frau. Den herrlichen „Bad Dance“ tanzen sie ganz und gar toxisch mit einem Britney-Spears-Zitat, das abschließende „Broken“ dann als bitter-traurige Erinnerung Tuckers an das öffentliche Scharmützel um Christine Blasey Ford im amerikanischen Fernsehen. Wenig Hoffnung vielleicht, viele Anregungen trotzdem, die Band vermittelt ein selten ehrliches Bild der Zerrissenheit unserer westlichen Gesellschaft(en) und ebenso den Grund für ihren unbedingten Willen, dennoch weiterzumachen: „The stakes always have to be high; there is no reason to get onstage and not have something to say“, sagte Brownstein kürzlich auf NPR, sie haben die Mitte also noch nicht aufgegeben.

18.02.  Berlin, Astra
22.02.  Frankfurt, Batschkapp

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