Sonntag, 16. Dezember 2018

Oberpollinger 2018: Die MPMBL Alben des Jahres




20
Amen Dunes
"Freedom"

Gerade im urlaubsfaulen Sommer treffen häufig zwei Weisheiten aufeinander: “Besser spät als nie” und “Gut Ding will Weile haben”. Denn wann sonst kommt man mal dazu, ein paar schon länger zurückgelegte Sachen durchzustöbern, um ihnen endlich den Platz einzuräumen, den sie verdient haben. Sachen, die im markschreierischen Neuheitengetöse regelmäßig untergehen – unverdientermaßen. Damon McMahon alias Amen Dunes ist einer davon. Das tatsächlich ziemlich wunderbare Album “Freedom” ist ja sein mittlerweile fünftes und, das läßt sich schnell heraushören, sein mit Abstand eingängigstes. Und vielleicht, fügen wir vorsichtig hinzu, deshalb auch sein bestes ... [mehr]

19
Lily Allen
"No Shame"

Es ist ja beileibe nicht das erste Mal, dass Künstler ihre privaten Schicksalsschläge, insbesondere Trennungen, als Quell für Inspiration und Kreativität nutzen. Gerade weil das Leben prominenter Zeitgenossen mehr und mehr in der Öffentlichkeit und unter den wachen, nicht selten gierigen Augen sozialer Netzwerke stattfindet, ist der Grad zwischen bereitwilliger und erzwungener Teilhabe ein sehr schmaler. Grabenkämpfe, Rosenkriege, Scheidungsdramen, ein oder zwei Songs fallen immer dabei ab. Wohl dem, der ohne auskommt oder zumindest das Heft des Handelns noch in eigenen Händen hält. Insofern ist Lily Allen keine Ausnahme, sondern eher ein mahnendes Beispiel dafür, wie unbarmherzig und gefräßig der Boulevard ist, hat man ihn einmal angefüttert ... [mehr]

18
Shame
"Songs Of Praise"

An dem Umstand, dass jede Gesellschaft die Musik bekommt, die sie verdient, ist nun wirklich nichts Neues. Und so schlecht, wie das jetzt klingt, muss das dann gar nicht sein. Weil es nämlich auf der Insel noch immer drunter und drüber geht, das Land zwischen sozialpolitischem Desaster, wirtschaftlicher Hilflosigkeit und antieuropäischer Isolation gerade seine Coolness und auch ein Stück seines vielgelobten Humors zu verlieren droht, finden sich immer mehr junge Menschen, die aus ihrer Wut und Frustration kein Hehl machen. Und darüber singen – loud und auch mächtig proud, so wie früher schon. Deshalb die Sleaford Mods, die Idles, The Fat White Family, deshalb auch Jungspunde wie SONNDR und eben Shame ... [mehr]

17
Bodega
"Endless Scroll"

Wie nach jedem großen Fußballturnier (hatten wir ja gerade erst) die neuesten Trends im Ballsport zusammengetragen werden, läßt sich auch ein Musikjahr bewerten, lassen sich Entwicklungen erkennen und benennen. Und selbst der leidenschaftliche Laie (in der Rollen sehen wir uns jetzt mal) darf nach einer Halbsaison eine erste Bilanz ziehen: 1. Auch dieses Jahr wird weiblich 2. Der Hip Hop tritt auf der Stelle (auch weil er sich von seinem frauenverachtenden Image, siehe 1, nicht zu lösen vermag) 3. Der Jazz ist endgültig zurück 4. Der Post-Punk erlebt eine weitere Blüte. Natürlich folgt noch eine Reihe weiterer wichtiger Punkte, wir bleiben aber mal bei 4 stehen und behaupten, daß diese These mit dem Hinweis auf die Formation Bodega aus Brooklyn bestens untermauert werden kann ... [mehr]

16
Parquet Courts
"Wide Awake"

Würde man einen Europäer fragen, wer ihm in der Not denn näher stände – der verpeilte Brexit-Brite oder der fehlgeleitete Amok-Amerikaner, er würde wohl doch zum zwar bemitleidenswerten, aber doch humor- und kulturvollen Inselbewohner tendieren. Lustigerweise tut das der Amerikaner manchmal auch, denn ab und an kommt einem eine Band in die Quere, die zwar aus Übersee stammt, aber englischer nicht klingen könnte. So auch Parquet Courts. Schon das letzte Album des Quartetts aus Texas, das unter dem schönen Namen „Human Performance“ 2016 erschien, mischte auf unterhaltsame Weise schmissigen Punk, psychedelischen Spätsechziger-Rock und feine Popideen und auch jetzt sind es vornehmlich die Stranglers und vor allem The Clash, an die einen Andrew Savage und Kollegen erinnern ... [mehr]

15
Young Fathers
"Cocoa Sugar"

Mit den drei Herren müsste dringend mal jemand reden: Es ist doch nun mal so, daß in solch schnelllebigen Zeiten wie heute den meisten Musikern nach einem meisterlichen Debüt in Folge gestiegener Ansprüche der eigene Erfolg zu Kopfe steigt und/oder die Quelle der Kreativität so schnell versiegt wie sie angezapft wurde. Ergebnis: Man müht sich redlich, jedoch ohne den erwarteten Erfolg wiederholen zu können, das Mittelmaß schleicht sich ein und irgendwann, wenn man eben dort angekommen ist, interessiert es auch keinen mehr so richtig, alle schon auf dem Weg zur nächsten Blume ... [mehr]

14
Miya Folick
"Premonitions"

Es ist erstaunlich und ebenso erfreulich, mit welcher Selbstverständlichkeit sich junge Künstlerinnen im Musikbusiness mittlerweile zu bewegen wissen, ohne es an Glamour und inhaltlicher Relevanz fehlen zu lassen, zwei Dingen, die sich vor Jahren noch kategorisch ausgeschlossen haben. Generierten sich zu früheren Zeiten weibliche Popstars eher als hübsch dekorierte Blaupausen, handwerklich solide talentiert, sonst aber eher harmlos bis nichtssagend, bringt die Emanzipation und die (leider schmerzliche, aber dringend notwendige) #metoo-Debatte eine neue, starke Generation des female rock und pop in die Studios, auf die Bühnen und generell in die öffentliche Wahrnehmung ... [mehr]

13
Steiner und Madlaina
"Cheers"

Wenn es darum geht, den Schlager mit bösen Kommentaren zu bedenken, sind wir ja immer schnell und mit großem Spaß bei der Sache, denn nichts ist einfacher, als Geringschätzigkeit und Überlegenheit zu zeigen. Dabei steckt hinter den Simplifizierungen, Fantastereien, Schönfärbereien ja immer eine auch eine tiefe, nur allzu menschliche Sehnsucht nach dem einfachen Leben, das gut zu einem sein will und nicht mit Widersprüchen, Ungewissheiten und Niederschlägen anstrengt. Die Sehnsucht, dass sich jemand kümmert, Sorgen teilt und man nicht ständig selbst in die Verantwortung gezogen wird. Allzu menschlich, wie gesagt. Oder anders: Es ist komplizierter, leider ... [mehr]

12
Haiyti
"Montenegro Zero"

Darüber sollte es keine zwei Meinungen geben: Der Weg zur Göre aus Hamburg Langenhorn führt nur über ihre Stimme. Oder eben nicht. Denn das grelle, hochgepitchte Organ von Ronja Zschoche alias Haiyti teilt die Zuhörerschaft mit allerschärfster Klinge in bedingungslose Lover und unversöhnliche Hater. Und macht nahezu jeden der zwölf Tracks dieses Albums zum flackernden Fiebertraum. Ein Debüt soll es nach offizieller Zählung sein, obwohl das Girl schon einen weniger beachteten Starter (Havarie, 2015) und drei Mixtapes (City Tarif, Toxic, Nightliner) von vorzüglicher Qualität abgeliefert hat, zusammen mit KitschKrieg, Trettmann, etc. ... [mehr]

11
Eliza Shaddad
"Future"

Es wird ja viel gelobt, wir nehmen uns da nicht aus, einfach weil es weit mehr Befriedigung verschafft, etwas zu finden, das einem gut gefällt und weil auch mehr dazugehört, als dieses oder jenes in der Öffentlichkeit (und sei es auch nur eine kleine) zu zerreißen. Das nun folgende Lob ist nun aber kein überraschtes, kein vorschnelles, unüberlegtes. Denn die Songs der jungen Britin Eliza Shaddad begleiten uns schon seit Jahren und sie sind, das darf man ohne jeden Zweifel behaupten, bei allen Wandlungen, die sie stilistisch genommen haben, immer von bestechender Qualität gewesen sind ... [mehr]

10
Florence And The Machine
"High As Hope"

Vielleicht ist es nicht sonderlich originell, andauernd und überall die Geschlechterkeule auszupacken, in diesem Falle kommt man aber nicht umhin festzustellen: Schon im vergangenen Jahr kamen die wichtigen, die relevanten, die kraftvollsten Alben von Frauen, denken wir an St. Vincent, Fever Ray, Björk, Feist und Charlotte Gainsbourg. Und auch die aktuelle Saison läuft auf ein ähnlich deutliches Ergebnis hinaus – erst Janelle Monáe, dann Lily Allen und nun, tja nun kommt Florence Welch mit dieser Platte. Und zeigt damit, dass nicht nur die Zukunft, sondern schon die Gegenwart weiblich ist ... [mehr]

9
Eminem
"Kamikaze"

Schon jemand gefragt, warum hier nichts zu "Kamikaze" stand, dem neuen Album von Eminem? Berechtigte Meldung. Einfach verpasst? Vielleicht. Others peoples business. Auch. Fest steht jedenfalls, daß nicht das geklaute Beastie-Boys-Cover das Spannendste an der Platte ist, sondern tatsächlich die Musik. Denn Marshall Mathers aka. Slim Shady ist mit der Platte ein ganz und gar beeindruckendes (ähh) Revival gelungen, packend, hart, politisch, ja virtuos. Allein die drei Singleauskopplungen, die hier anstelle von mehr Text stehen, sprechen für sich - also "Fall", "Lucky You (Feat. Joyner Lucas)" und gerade taufrisch geteilt der Titelsong zur Marvel-Verfilmung von "Venom" ... [mehr]

8
St. Vincent
"Masseduction"

Natürlich sagt man so etwas nur hinter vorgehaltener Hand und auch dann noch ganz, ganz leise, denn hier sind Missverständnisse vorprogrammiert: Aber ist es nicht so, daß Männer, die sich selbst medienwirksam zu erbitterten Kämpfern für die Rechte der Frau, gar zu entschlossenen Feministen ausrufen, immer ein wenig suspekt, wenn nicht sogar etwas albern wirken? Denn auch wenn Intention klar und das Ansinnen ehrbar ist, wirkt es doch manchmal so, als wolle der Herr im Haus zeigen, wie man einen ordentlichen Feldzug führt, um am Ende des hoffentlich siegreichen Gefechts freudestrahlend prahlen zu können, ohne ihn, den Mann also, wäre das alles nicht so toll gelaufen? Nun gut, ganz so steil ist diese These auch wieder nicht, ... [mehr]

7
Ganser
"Odd Talk"

Spätestens mit der Single „Pyrrhic Victory“, erschienen im September 2016, war klar: Das hier könnte eine neue Lieblingsband werden. Allein der Name: Hergeleitet aus einem psychischen Krankheitsbild, das man auch unter der Umschreibung „hysterischer Dämmerzustand“ findet – gar nicht lustig, aber angemessen schräg und natürlich maximal befremdlich. Dann der Song selbst: Flatternder Bass, Gitarre und Gesang wiegen sich in bester Post-Punk-Manier, verschroben und eingängig zugleich, Volltreffer. Später die dazugehörige EP „This Feels Like Living“, gefolgt von einer Geduldsprobe – warten. Bis jetzt. Und schlußendlich Erleichterung. Und zwar über einen Entscheidung, die nur auf den ersten Blick widersinnig erscheint ... [mehr]

6
Isolation Berlin
"Vergifte dich"

Wirklich tröstlich ist das nicht: Vor ziemlich genau zwei Jahren, das Debütalbum von Tobias Bamborschke und Isolation Berlin war gerade erschienen, galt Flucht noch als Option. „Fahr weg“, hieß es da, „so weit weg wie es geht, wenn dich doch hier nur alles deprimiert…“ – aus dem Staub machen, entkommen. Ein Jahr darauf folgten fünfzig böse Verse (*), brach sich die Wut, die auf „Und aus den Wolken tropft die Zeit“ noch aus der Ferne ätzte, endgültig Bahn. Bamborschke platze buchstäblich der „Kotzkragen“, eines der Gedichte hieß „S-Bahn“ und kam mit acht Worten aus: „Leckt mich doch Alle, am Arsch! AM ARSCH!“ Dem war für den Moment nichts hinzuzufügen, jetzt erscheint das zweite Album und die Flucht ist vom Tisch ... [mehr]

5
Janelle Monáe
"Dirty Computer"

Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!“ – meistgehörter Satz der letzten Monate. „Man wird sich ja wohl mal irren dürfen!“ – nicht ganz so oft gehörter Satz in den letzten Monaten, deshalb wollen wir hier mal mit gutem Beispiel vorangehen und einen dicken Irrtum eingestehen, der schon ganze acht Jahre her ist und im schnelldrehenden Musikbusiness eigentlich schon als verjährt gelten sollte. Gleichwohl ist der Missgriff noch immer nachzulesen, deshalb die fällige Entschuldigung: Als wir an gleicher Stelle das Debütalbum von Janelle Monáe namens „Archandroid“ als quietschbunte Wundertüte bezeichnet und in gleichem Atemzug mit dem Argument „viel gewollt – nichts richtig gekonnt“ verrissen haben, lagen wir, das sollte man ruhig zugeben, mal sauber daneben ... [mehr]

4
The Breeders
"All Nerve"

Echt jetzt? Das soll’s gewesen sein? Klingt wie früher und kein Hit dabei? Da hätte man sich von der größten deutschen Tageszeitung doch etwas mehr Wertschätzung erwartet, wenn sich die Geschwister Kelley und Kim Deal nach zehn Jahren wieder zusammenfinden und tatsächlich noch mal eine gemeinsame Platte aufnehmen. Dann lieber hundert Zeilen Hass von Maxim Biller als dreißig gelangweilte von einem Autor, der zu cool für seine eigene Jugend ist und deshalb alles doof findet, was nicht irgendwie abgefahren und hip genug klingt. Ein Trauerspiel, fürwahr. Nicht so diese Platte. The Breeders waren nie eine Singles-Band, Hits wie das tatsächlich grandiose „Cannonball“ entstanden eher im Vorbeigehen, man findet auf den bisherigen vier Alben keine Handvoll davon ... [mehr]

3
Pusha T
"Daytona"

So manch eine/r mag sich gewundert haben, dass sich diesmal kein Album der über alles verehrten Sleaford Mods im Ranking findet - nun, das hat einen einfachen Grund: Sie haben keins gemacht. Sondern eine EP, die selbstredend ausgezeichnet ist, aber eben nicht in diese Aufzählung passt. Was aber nicht heißt, dass Jason Williamson hier nicht seinen Senf dazugeben darf. Die Empfehlung für Pusha T und dieses zwar ebenfalls sehr kurze, aber wunderbare Album stammt nämlich von ihm. Rezensiert haben wir es nicht (waren zu spät), reinhören, kaufen, das alles lohnt sich aber unbedingt ... [mehr]

2
Idles
"Joy As An Act Of Resistance"

Es ist nicht ganz so einfach zu sagen, was die Idles besser machen als andere. Wütende Bands gibt es hier und heute viele, die Zeiten, ob im Provinzkaff nebenan, weit drüben in Amerika oder im einst so stolzen Königreich, sie sind danach. Aber Wut braucht nicht nur Lautstärke. Sie braucht auch Glaubwürdigkeit, Ehrlichkeit, Auswege, sonst bleibt sie blind und zerstörerisch, sonst nutzt sie niemandem. Joe Talbot, Sänger des Quintetts aus Bristol, hat aus seinem gerechten Zorn nie ein Hehl gemacht. Schon auf dem fulminanten Debüt „Brutalism“ hat er gegen verstockte Traditionen, Denkmuster und Vorurteile angebrüllt, hat Porzellan zerschlagen. Und tut es wieder, so roh, pur und ungekünstelt, dass man ihn dafür lieben muss ... [mehr]

1
Christine And The Queens
"CHRIS"

Schon klar, am Ende muß jeder selbst entscheiden, ob und wie sehr er sich darauf einlässt. Aber was kann es denn in Zeiten, wo man das Gefühl hat, von lauter Schrumpfhirnen umgeben zu sein, die nichts mehr und höher schätzen als das ewig gleiche „Weiter so!“, schöneres geben, als auf diese Art irritiert, verunsichert, vielleicht provoziert zu werden? Schon als die ersten Bilder der „neuen“ Héloïse Letissier im Netz auftauchten, fragte man sich gespannt, wie weit sie damit gehen, wie konsequent Christine (der neue Name Chris so kurz wie ihre Haare) dieses Spiel wohl treiben würde. Oder ist es am Ende gar kein Spiel? Ist diese Transformation ihr Ernst und nicht nur professionelles Medienspektakel? Nun, die Konsequenz jedenfalls manifestiert sich in der Weigerung zur endgültigen Entscheidung – keine Festlegung von ihr zu haben, wer und wie sie ist, zu wem sie sich hingezogen fühlt, wen sie liebt ... [mehr]

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