Montag, 9. September 2013

London Grammar: Teenage Schwermut

London Grammar
„If You Wait“

(M&D Recordings)

Woran liegt es eigentlich, dass junge Menschen heute manchmal so unsagbar traurige Lieder singen? Dass sie Songs schreiben, die so klingen, als hätten sie sich schon mit Anfang zwanzig von aller Lebensfreude verabschiedet, als könnten sie von nun an weder Trost noch Aufmunterung erwarten? Wie kommt es, dass der gerade mal neunzehnjährige Archy Marshall als King Krule die Branche mit einer Stimme Staunen macht, die nach so viel mehr an Erfahrung, Reife und Weltenkenntnis klingt als ebenjene kurzen zwei Jahrzehnte? Genügend Stoff für Dissertationen und Trendforschereien, in denen dann auch Hannah Reid auftauchen sollte. Das zarte, blasse Mädchen steht bei London Grammar, der heißesten Popversuchung des Jahres, am Mikrophon und sie tut dies mit einer Brillanz, einem Timbre und einer Oktavbreite, die verblüfft und begeistert.

“And all foundation that we made built to last, they disintegrate, and when your house begins to rust oh it’s just metal and dust” – eine dieser beispielhaften Zeilen aus dem Song “Metal And Dust”, altklug, illusionslos und schwermütig wie so viele auf diesem Album. Und seien wir ehrlich, gerade diese Schwermut und die Grandezza, mit der sie zum Vortrag kommt, ist es, was die Musik von London Grammar so zauberhaft, so anziehend macht. Natürlich wird man von The XX reden müssen – zu offensichtlich sind die Parallelen bei Formation und Sound, ohne Romy Croft, Oliver Sim und Jamie Smith würde es die Doppelung in Hannah Reid, Dot Major und Dan Rothman wahrscheinlich so gar nicht geben.

Trotz aller Ähnlichkeiten: Wo The XX mit unterkühlter Distanz bestechen, gewinnen London Grammar ihren Reiz aus der leidenschaftlichen Intensität und Wärme ihrer Arrangements, es gibt weniger Beats, dafür wandlungsfähigeren Gesang und ein Mehr an Nähe und Intimität. Stücke wie “Stay Awake”, “Wasting My Young Years”, “Sights” oder “Nightcall” lassen einen tief in die jugendliche Gefühlswelt blicken, nebeneinander stehen hier wie so häufig die Hilflosigkeit, die selbstlose Hingabe, der Mutmacher und die Unfähigkeit, dem eigenen Gedankenwirrwarr eine Rationalität zu geben. Das alles begleitet von behutsam gezupfter Akkustik oder kontrastiert mit dunkel wummernden Bässen, wohl kalkuliert, selten irritierend.

Einzig “Flickers” überrascht mit vorsichtiger Funkyness und erinnert daran, dass die drei ja unter anderem mit dem Dance-Hit “Help Me Lose My Mind”, aufgenommen zusammen mit dem britischen Duo Disclosure, bekannt geworden sind. Das Stück wurde zwar schnell auf der Deluxe-Edition von “If You Wait” versteckt, weist aber vielleicht einen gangbaren Weg für die Zukunft, denn auch The XX haben für “Coexist” erkennen müssen, dass die frostige Innerlichkeit allein auf Dauer kaum trägt. Für’s erste jedenfalls ist London Grammar ein ganz und gar wunderbares Debüt gelungen, das Trio hat offenkundig soviel Qualität, dass einem um seine Zukunft nicht bange sein muss. Und wer sich tatsächlich zur Doktorarbeit entschließt, wird schnell recherchiert haben, dass die Welt da draußen keine bessere wird – sie spielt ihnen also in die Hände, irgendwie. www.londongrammar.com

05.11.  Berlin, Volksbühne
06.11.  München, Atomic Cafe
08.11.  Zürich, Rote Fabrik

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