Freitag, 1. Oktober 2010

Gehört_194



Neil Young „Le Noise“ (Warner)
Es ist dies das Privileg ehrwürdiger Rocklegenden, auch liebevoll alte Säcke genannt, im höheren Alter Alben zu veröffentlichen, die sich wenig scheren um Marktanalysen und Hörgewohnheiten von Käuferschichten und Zielgruppen. Neil Young hat, so knapp vor der offiziellen Pensionärsgrenze, reichlich an Vita und Glaubwürdigkeit vorzuweisen, sein Backkatalog ist ähnlich umfangreich und vielfältig wie die Archive des Vatikan – der Mann darf also. Und trotzdem befällt so manchen eingeschworenen Fan ein mächtiges Zittern – was, wenn der Meister endgültig jedweder Erwartungshaltung abgeschworen hat und zukünftig nur noch solch kantige Brocken in die Runde wirft? Was, wenn sich auf komenden Alben demnächst statt der ohnehin mageren acht Titel nur noch zwei mit geschätzt jeweils zwanzig Minuten Spielzeit befänden? Endzeitstimmung?

Dafür besteht nun wirklich keinerlei Anlaß, denn wie auch das vordergründig monochrom düstere Cover vom neuen „Le Noise“ bei genauem Hinsehen viel Licht und Helligkeit offenbart, so besitzt auch die neue Platte des knurrigen Kanadiers viel Weiches, Versöhnliches und eine große Portion Melancholie. Natürlich hat jeder seine ganz eigenen Assoziationen zu diesen vierzig Minuten elektrisch verstärkter Meditation beizusteuern, nicht wenigen kommen die sagenhaften und gewaltigen Bilder von Jarmuschs „Dead Man“ in den Sinn – Birkenwälder, schwarzweiß, endlos, leinwandfüllend und allein getragen von einem unglaublichen Feedbackgetöse, welches in den besten Momenten wirkt wie ein akustischer Aderlaß, wenn es Welle um Welle vorandrängt und hinwegfegt. Man muß das mögen, klar, denn auch auf „Le Noise“ läßt Young das Gitarrenmonster heulen, gibt ihm die Sporen und jagt es ohne Gnade über seine Spielwiese aus grob geschlagenen Riffs, Rückkopplungen und experimenteller Vielspurigkeit. Und auf den ersten Blick scheinen die rauen Texturen auch das Bild dieses Albums zu bestimmen, das bittersüße „Walk With Me“ ebenso wie das sogar stimmlich verzerrte „Sign Of Love“, selbst der schwelgerische Trostgesang „Someone’s Gonna Rescue You“ ist beinharter Bluesrock.

Doch es gibt eben auch solche anrührenden Tearjerker wie das unverfremdete „Love And War“, Herzstück und Politikum der Platte, das jedem anderen als Young wahrscheinlich gnadenlos misslungen wäre, ihm aber, so einfach die proklamierten Sätze auch scheinen, auf unvergleichliche und wahrhaftige Art gelingt. Ähnlich berückend der behutsame Gesang bei „Peaceful Valley Boulevard“, trauriges Gesternlied – ihm zu lauschen ist wie alte Fotos anschauen, nur eben lauter – ein unverhohlener, beißender Klagegesang für die Ureinwohner Amerikas und das Weltenschicksal ganz allgemein: „At first they came for gold and then for oil, fortunes were made and lost in lifetimes, mother earth took poison in her soil ... A child was born and wondered why.“ Bleischwere Worte, tröstlich nur die Begleitung.

Auch wortwörtlich also ein Album, das erst einmal verdaut werden will. Die Chance jedenfalls, dass „Le Noise“ bald im jamba-Sparabo zu haben sein wird oder die Spitze der Downloadcharts erklimmt, geht streng gegen null – nicht die schlechteste Voraussetzung, den Mythos zu wahren. http://www.neilyoung.com/

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