Donnerstag, 8. April 2010

Gelesen_4



Martin Suter „Der Koch“ (Diogenes)
Jede Ankündigung eines neuen Buches von Martin Suter löst in meinem Bekanntenkreis regelmäßig eine Art freudige Hysterie aus, gefolgt von so schwerwiegenden Fragen wie: „Wer kauft’s?“, „Wer bekommt’s zuerst?“ und dem drängenden „Schon fertig?“. Solche liebgewonnenen Zeremonien werden mit der Zeit zu Selbstläufern, unabhängig davon, ob das vorangegangene Buch die Aufregung wert war oder nicht. Wobei man gerechterweise sagen muß, dass Suter eigentlich noch kein schlechtes Buch geschrieben hat – nimmt man seine Romane, so kann man eher von sehr subjektiven, qualitativen Abstufungen sprechen. In meinem persönlichen Suter-Kosmos schweben „Small World“ und „Die dunkle Seite des Mondes“ in unerreichten Höhen, umkreist von den mehr als respektablen „Lila Lila“ und „Der letzte Weynfeld“, etwas ferner und mehr glimmend statt leuchtend dagegen „Der Teufel von Mailand“ und „Ein perfekter Freund“. Soweit die Relationen, in die sich nun „Der Koch“ einfügen wird und ich muss zugeben, er zählt für mich nicht zu den Fixsternen unter den Werken des Schweizers.

Suter wagt sich ja bekanntlich an seine bisher weltumspannendsten Themen, neben dem aus der „Business Class“-Reihe geschulten Blick auf die allgegenwärtige Weltwirtschaftskrise führt er den Leser ein in den Bürgerkriegskonflikt in Sri Lanka zwischen der separatistischen Guerilla-Organisation Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) und der präsidententreuen singhalesischen Armee. Beide Schauplätze finden im Gourmetrestaurat Huwyler ihren eidgenössischen Bezug und im Besonderen natürlich in der Hauptperson des Romans, dem Exiltamilen Maravan, dessen Verwandschaft in den Krieg unmittelbar verwickelt ist und der über Internet und Kontaktbüros bewußt und im Kontakt mit düsteren Rekrutierungsschergen der LTTE unfreiwillig an den Verwicklungen teilnimmt.

Maravan, ein grob unterschätzter Meister der ayurvedischen Molekularküche, durchaus auch mit den entsprechenden aphrodisierenden Nebenwirkungen vertraut, erscheint als nachdenklicher, bedrückter und moralisch zerrissener Mensch, in dessen Person sich die Probleme des Aufeinanderprallens westlicher und fernöstlicher Wertevorstellungen fokussieren, der aufgerieben wird zwischen seinem selbstverordneten oder auch mißverstandenen sozialen Ethos und den Bedürfnissen seines einsamen Herzens. Es kommt also wie erwartet zu zahlreichen Gewissenskonflikten, Beziehungsproblemen, Suter läßt seine Protagonisten wie gewohnt in allen Facetten beleuchten und zeichnet so eine/n jede/n auf seine Art als widersprüchliche Mischung aus Opfer und Täter. Die Ironie und der Spott sind beißend und ansprechend wie immer, wenn er zum Beispiel den Koch auf die Frage nach dem Wegfall der Kasten sinngemäß antworten läßt, es käme eben jetzt darauf an, in welcher der Kasten man früher gewesen sei.

Die Recherche, Suters unschlagbares Pfund bei allen seinen Romanen, ist wie üblich profund und überzeugend, was leider fehlt ist Geschwindigkeit, ist finale dramaturgische Zuspitzung, die einen das Buch nicht mehr aus den Händen legen läßt. Wie auch sein Hauptcharakter, so sind die Erzählstränge eher zurückhaltend pointiert und am Ende ist man von der Auflösung, die das Buch erfährt, so gar nicht überrascht und erst recht nicht aufgeregt. Das ist schade, zumal man um Suters Fähigkeiten weiß, die Spannung auf den letzten Seite kulminieren zu lassen, ungeahnte Wendungen einzubauen und dem Leser so den Atem zu rauben. Wem das nun fehlt, der kann sich wenigstens mit einem ausführlichen Kochbuchexkurs im Anhang trösten und beim Nachkochen der Menüs vielleicht in geschmacklicher Hinsicht dem Roman noch etwas Verblüffendes abtrotzen.
Martin Suter bei DIOGENES

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Muss ein Autor immer die Erwartungshaltung seiner Leser erfüllen? Ist Enttäuschung nicht immer auch das Ergebnis zu hoch gesteckter Erwartungen? Diese Fragen drängen sich natürlich auf bei den Buchkritiken zu Suter's neuestem Werk "Der Koch". Die Sutter-Fans in meinem Freundeskreis reagierten mit sanfter Enttäuschung auf das neue Buch. "Ganz nett, liest sich gut, aber..." waren so die gängigen Reaktionen. Mit diesen Kommentaren machte ich mich an die Lektüre ran. - Die Besonderheiten, die Qualitäten der Suter-Romane sind schnell zusammengefasst: Schon nach den ersten fünf bis zehn Seiten holt einen der Schweizer ganz tief in seinen Plot rein, so dass man das Gefühl hat, man sei ein ganz intimer Beobachter der Szenen. Schon nach den ersten zwanzig bis dreisig Seiten entwickelt sich ein Spannungsbogen, der dann bis zur letzten Zeile hält. Die Spannung läßt es quasi nicht mehr zu, ein Suterbuch ganz locker wieder wegzulegen und vielleicht ein paar Tage später wieder in die Hand zu nehmen um weiterzulesen. Seine Meisterwerke "Small World" und "Die dunkle Seite des Mondes" und auch sein letztes Werk "Der letzte Weynfeld" bieten diese besonderen Qualitäten par excellence. Nun nahm ich, leicht vorbelastet durch die ersten Stimmen zu diesem Buch, sein neuestes Werk "Der Koch" zur Hand. Wie gewohnt stellte sich nach den ersten fünf bis zehn Seiten die besondere Stimmung bei mir ein. Ich durfte mit dem tamilischen Koch und Asylbewerber Maravan den Alltag in der Schweiz miterleben, seine schwieriges Arbeitsleben, seine Leidenschaft und seine Können, die Geheimnisse der ayurwedischen Molekularküche, die mich als Hobbykoch natürlich faszinierten, und seine Liebesgeschichte. Wie in allen Suterwerken wurde auch hier brilliant recherchiert, die Basis dieser Geschichte war wieder fundiert und begleitet von den politischen Realitäten. Der Spannungsbogen hat nicht die Dimension früherer Werke doch die Liebesgeschichten sind auf hohen literarischem Nivea. Er muß die Dinge nicht beim Namen nennen, es reichen Andeutungen um den Leser an der Gefühlswelt der Protagonisten teilnehmen zu lassen. Suter erinnert dabei fast an die Feinheiten Hermann Hesses. Als ich das Buch nach der Lektüre weglegte, fühlte ich mich nicht um den Spannungsbogen betrogen. "Der Koch" ist wieder ein gutgeschriebenes, handwerklich gelungenes Stück Literatur.

Mapambulo hat gesagt…

Puuh, viel Arbeit und mit "Kommentar" eigentlich nur ungenügend umschrieben - besten Dank ...

Anonym hat gesagt…

Hallo liebe Suter-Gemeinde, nun ist das "Koch"-Buch wieder bei mir gelandet...und was soll ich sagen, nach all den Kritiken hält sich die Vorfreude auf das Lesen in Grenzen. Die Erwartungshaltung ist grundsätzlich groß und sie wurde jetzt ein wenig gemildert. Ich denke, ich werde es noch ein wenig ruhen lassen, mich meinen anderen Büchern erstmal widmen, die in der Ranking-Liste weiter oben stehen. Klaro ist es ein MUSS, aber irgendwie nicht heute und morgen. tansei